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Urf (Tradition): Arten und Bedingungen

Frage

Was ist unter Urf (Tradition, Brauch) zu verstehen? Kann man sich in religiösen Angelegenheiten darauf berufen und welche Rangstufe nimmt dieser (unter den Quellen) ein?

Antwort

Der Lobpreis gebührt Allâh und möge Allâh Seinen Gesandten sowie dessen Familie und Gefährten in Ehren halten und ihnen Wohlergehen schenken!

Urf wird als Fachbegriff der Usûl-Gelehrten folgendermaßen definiert: „Das, woran sich die Menschen gewöhnt haben und danach verfahren bei Handlungen, die sich zwischen ihnen verbreitet haben und bei sprachlichen Ausdrucksweisen, auf die sie sich verständigt haben und die sie in einer so spezifischen Weise anwenden, dass beim Hören keine andere Bedeutung in den Sinn kommt. Dies schließt handlungsbezogene und sprachliche Traditionen mit ein. Handlungsbezogene Traditionen sind z. B. Die Sitte der Menschen beim Tätigen eines Kaufgeschäfts, dieses oftmals ohne eine sprachliche Formulierung zu tätigen (wie dies theoretisch bei einem Kaufvertrag vorgesehen wäre; AdÜ). Ebenso die Übereinkunft der Menschen, die Morgengabe der Frau (Mahr) bei der Heirat in zwei Teile aufzuteilen, ein Teil wird gleich ausbezahlt, ein anderer später. Sprachliche Traditionen sind z. B.: Unter Menschen, die (Arabisch sprechen), ist es üblich, das Wort „Walad“ (Kind, Nachkomme) für Jungen und nicht für Mädchen zu verwenden. Ebenso wird der Ausdruck „Lahm“ (Fleisch) nicht für Fisch verwendet und „Dâbba“ (Tier) gilt speziell für Pferde/Reittiere (vgl. Wahba Az-Zuhailî: „Usûl Al-Fiqh Al-Islâmî“ (2/829).

Zur zweiten Frage: Ein Urf ist für die Scharîa nur dann relevant, wenn es eine korrekte (sahîh) Sitte ist, nicht aber bei einer falschen (fâsid). Wahba Az-Zuhailî schreibt hierzu: „Urf wird aus Sicht der Scharîa in sahîh und fâsid eingeteilt. Sahîh ist eine Sitte (Tradition), woran sich die Menschen gewöhnt haben, ohne dass dies der Scharîa widerspricht. Erlaubtes (halâl) darf also nicht verboten (harâm) und Verbotenes auch nicht erlaubt gemacht werden. Fâsid ist eine Sitte, woran sich die Menschen gewöhnt haben, durch die aber etwas Verbotenes als erlaubt oder etwas Erlaubtes als verboten erklärt würde. So ist dies bei einigen Zinsverträgen u. ä. der Fall. Die islâmischen Gelehrten sind sich einig, dass Urf ein Beleg für die Scharîa und eine Quelle der Scharîa-Normen ist. Hanafiten und Mâlikiten haben davon ausgiebiger Gebrauch gemacht als andere. Bei vielen praktischen Normen haben sie sich darauf gestützt; ebenso auch bei der Erklärung von Scharîa-Texten, deren allgemeine Bedeutung sie eingeschränkt (spezifiziert) haben und bei der Darstellung von verschiedenen Fiqh-Normen im Bereich von Ibâda-Handlungen, Transaktionen, Fragen des Personenstands und strafrechtlichen Bestimmungen“ (2/835).

Zur dritten Frage: Wenn damit die Reihenfolge der relevanten Bedingungen gemeint ist, gelten hier vier Bedingungen. Eine Sitte kann nur dann Geltung beanspruchen, wenn diese vorliegen: 1) Die Sitte muss ständig oder allgemein vorliegen. 2) Bei der Bestimmung des jeweiligen Handelns muss die Tradition zur Entscheidung noch bestehen. 3) Die Tradition darf nicht einer eindeutigen Verlautbarung widersprechen (d. h. bei Verträgen liegt auf Seiten der Vertragspartner keine klare Negation dieser Tradition vor). 4) Sie darf nicht einem Scharîa-Text oder einer eindeutigen Regel widersprechen (s. Quelle oben).

Falls jedoch mit der Frage gemeint ist, in welcher Reihenfolge die Beweisführung mit den Belegen zu erfolgen hat, so gilt übereinstimmend, dass ein korrekter (Scharîa-)Text an erster Stelle kommt. Danach folgt der Idschmâ (Konsens). Dem Qiyâs (Analogieschluss) wird die Tradition vorgezogen, wenn beide im Konflikt stehen. Über diese Quelle schreibt er: „Wenn es einen Widerspruch zwischen Qiyâs und Urf gibt, so wird nach dem Konsens der Qiyâs zugunsten des Urf außer Betracht gelassen. Dies gilt auch, wenn der Urf neu) ist, denn dann ist der Urf (gewöhnlich) ein Beleg für eine Notwendigkeit. Dies wirkt stärker als der Qiyâs und dadurch wird das (allgemeine) Interesse besser bedient“ (2/856).

Und Allâh weiß es am besten!

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