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Meine Frage bezieht sich auf die Fiqh-Regel „Notwendigkeit macht Verbotenes erlaubt“. Welche Belege gibt es für diese Regel? Bei meiner Suche habe ich gefunden, dass die meisten Belege dazu aus Qurân-Versen und Hadîthen stammen, die alle im Zusammenhang mit der Erlaubnis von Nahrungsmitteln stehen, die Allâh harâm gemacht hat, die jedoch in Notsituationen erlaubt sind. Genannt wird auch ein Qurân-Vers, der das Aussprechen von Kufr-Worten (mit denen man Allâh oder etwas von der Religion verleugnet; AdÜ) erlaubt, wenn jemand dazu gezwungen wird, solange das Herz Ruhe im Îmân gefunden hat.
Doch all das ist offensichtlich nicht so allgemein zu verstehen, dass alle verbotenen Dinge in Notsituationen erlaubt seien. Können Sie mir einen Beleg dafür liefern, dass diese Regel allgemein gilt, falls doch eine Erlaubnis von allem Verbotenen in Notsituationen gemeint ist (und es nicht nur Speise betrifft, die von Allâh harâm gemacht wurde), so z. B. wenn es um Transaktionen mit Banken geht, die Zins nehmen, falls es in dem jeweiligen Land keine anderen gibt?
Noch eine Frage zu folgender Regel: „Es wird der allgemeine Wortlaut zugrunde gelegt und nicht der spezielle Anlass (für dieses islâmische Urteil; AdÜ)“. Ist die Anwendung dieser Regel auf die Qurânverse 2:173, 5:3, 6:119 und andere nicht eine Hinzufügung zum Qurân, wo doch diese Verse im Zusammenhang mit Speisegeboten herabgekommen sind und sich nicht allgemein auf alles Verbotene beziehen?
Möge Allâh es Euch mit dem Besten vergelten!
Der Lobpreis gebührt Allâh und möge Allâh Seinen Gesandten sowie dessen Familie und Gefährten in Ehren halten und ihnen Wohlergehen schenken!
Die Regel „Notwendigkeit macht Verbotenes erlaubt“ gehört zu den Fiqh-Regeln, worüber Einstimmigkeit herrscht. Die Gelehrten haben dazu vieles gesagt. So auch Az-Zarkaschî in „Al-Manthûr fî Al-Qawâid“: „Es gilt die Regel ‚Notwendigkeit macht Verbotenes erlaubt‘. Daher ist das Essen des Fleisches von verendeten (und nicht korrekt geschlachteten) Tieren bei Hungersnot erlaubt. Ebenso ist bei Erstickungsgefahr das Herunterspülen eines Bissens (der im Halse steckt) mit Alkohol erlaubt, falls man nichts anderes findet, und genauso das Aussprechen einer Kufr-Aussage für denjenigen, der dazu gezwungen wird. Wenn sich in einer Gegend Verbotenes so stark ausgebreitet hat, dass man Erlaubtes nur selten findet, ist der Gebrauch des Verbotenen erlaubt im Maße des Bedarfs und es ist nicht auf die reine Zwangslage einzuschränken.“
Die Belege für diese Fiqh-Regel erklärt Schaich Abdurrahmân ibn Sâlih Al-Abd Al-Latîf in seinem Werk „Fiqh-Regeln und -maßstäbe zur Erleichterung“, veröffentlicht von der Islâmischen Universität in Medina:
„Die Bedeutung der Regel ist, dass Verbotenes erlaubt wird, wenn der Mukallaf (islâmisch volljährig und zur Ausübung des Islâms verpflichtet; AdÜ) einer Notlage ausgesetzt ist, die es erforderlich macht, dieses Verbotene zu begehen bzw. einzunehmen, da die Notlage sonst nicht abgewendet werden kann. Dies gilt, wenn eine Hungersnot so stark ist, dass der Mukallaf um sein Leben fürchtet. Dann ist ihm das Essen von Verendetem u. ä. erlaubt. Genauso ist das Aussetzen von einigen Pflichten oder deren Erleichterung aufgrund einer Zwangslage zu betrachten. Darauf weist die (im Text) bereits erwähnte Regel hin: ‚Keine Pflicht, wenn man nicht dazu imstande ist, und kein harâm in einer Zwangslage.‘“
Zu den Belegen:
1) Auf diese Regel weisen die erwähnten Qurân-Verse und Hadîthe hin. Sie zeigen, dass für jemanden, der zu etwas gezwungen ist, eine unterschiedliche Beurteilung gilt. Ihm ist erlaubt, was anderen nicht erlaubt ist. Darunter zählt:
Das Wort Allâhs des Erhabenen „Wer sich aber in einer Zwangslage befindet, ohne zu begehren oder das Maß zu überschreiten, für den ist es keine Sünde. Allâh ist allvergebend und barmherzig“ (Sûra 2:173).
2) „Und wer sich aus Hunger in einer Zwangslage befindet, ohne zu einer Sünde hinzuneigen, so ist Allâh allvergebend und barmherzig“ (Sûra 5:3).
3) „(...) wo Er euch doch ausführlich dargelegt hat, was Er euch verboten hat, außer dem, wozu ihr gezwungen werdet?“ (Sûra 6:119).
4) „Wer sich aber in einer Zwangslage befindet, ohne zu begehren oder das Maß zu überschreiten, – so ist dein Herr allvergebend und barmherzig“ (Sûra 6:145).
5) In der Sunna gibt es die Überlieferung von Dschâbir ibn Samura (möge Allâh mit ihm zufrieden sein): „Ein Mann ließ sich in Al-Harra mit seiner Familie und seinem Kind nieder. Da sagte ein Mann (zu ihm): ‚Eine Kamelstute von mir ist verloren gegangen. Wenn du sie findest, so halte sie fest.‘ Darauf fand er sie, aber er konnte den Besitzer nicht ausfindig machen. Als er erkrankte, meinte seine Frau, er solle die Kamelstute schlachten. Doch er lehnte ab und sie (die Kamelstute) ging zugrunde. Da sagte sie: Häute sie, damit wir ihr Fett und Fleisch trocknen und essen. Er sagte: ‚Ich will erst den Gesandten Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) fragen.‘ Er kam zu ihm, stellte seine Frage und er (der Prophet) sprach: ‚Bist du so reich, dass du dich davon enthalten kannst?‘ Er verneinte. Da sagte er: ‚So iss sie!‘ Daraufhin kam der Besitzer und er berichtete ihm davon. Er sagte: ‚Warum hast du sie denn nicht geschlachtet?‘ Er sagte: ‚Ich habe mich vor dir geschämt.‘“
Zu den allgemeinen Belege, die grundlegend auf die Erleichterungen der Scharîa hinweisen und die im Fall eines auftretenden Entschuldigungsgrundes angewandt werden, zählen:
Die Worte des Erhabenen: „(...) und Er hat euch in der Religion keine Bedrängnis auferlegt“ (Sûra 22:78). „Und wenn ihr krank seid oder auf einer Reise oder jemand von euch vom Abort kommt oder ihr Frauen berührt habt und dann kein Wasser findet, so wendet euch dem guten Erdboden zu (...)“ (Sûra 4:43).
Die Fiqh-Gelehrten haben sich nach dieser Regel gerichtet. Sie gehört zu den Regeln, über die Übereinstimmung herrscht. Die Gelehrten der vier Schulen sprechen davon in den Büchern der Fiqh-Regeln und der Fiqh-Ableitungen. Scheich As-Sa‘dî hat das Vorliegen einer Übereinstimmung hierzu konstatiert, so wie Ibn Al-Mundhir und andere den Konsens überliefert haben, dass Fleisch von veränderten Tieren in Notsituationen erlaubt ist. Dies ist eine der Fragen, die aus dieser Regel resultiert.“
Die Anwendung dieser Regel gilt allgemein und bei allen Urteilen. Sie umfasst auch Transaktionen mit Banken, die auf Zins basieren, falls eine Notsituation vorliegt und es keine anderen Banken gibt. Abû Al-Hârith Al-Ghazzî schreibt in „Al-Qawâid Al-fiqhiyya“ über Beispiele zu dieser Regel: „Darunter fällt die Erlaubnis, Kredite mit Zinsen aufzunehmen, falls sich niemand findet, der etwas ohne Zinsen verleiht und man auf das Geld angewiesen ist, um sich mit Lebensnotwendigem zu versorgen, eine Operation durchzuführen oder um dringend benötigte Medikamente zu besorgen. Die Sünde hierbei liegt beim Kreditgeber.“
Bezogen auf die drei Verse, deren Nummern erwähnt wurden, so gelten sie nun mal als die Belege für diese Fiqh-Regel, die uns zur Verfügung stehen, auch wenn sie aus einem speziellen Anlass heraus herabgesandt wurden (also das Essen von Verendetem für jemanden in einer Notsituation o. ä.). Doch die abzuleitende Lehre gilt nach dem allgemeinen Wortlaut und nicht nach dem speziellen Herabsendungsanlass. Diese Regel ist unter den Gelehrten bekannt und kann nicht als Hinzufügung zum Qurân-Text verstanden werden.
Schaich Al-Islâm Ibn Taimiyya schreibt in „Madschmû Al-Fatâwâ“: „Oft wird in diesem Zusammenhang eingewendet: Dieser Vers sei bezüglich dieses oder jenes Ereignisses herabgesandt worden, besonders, wenn eine bestimmte Person erwähnt wird. So sind Herabsendungsanlässe, die in den Qurânkommentaren erwähnt werden, z. B. der Vers des Dhihâr (unrechter Schwur, sich von seiner Frau fernzuhalten; AdÜ). Dieser kam herab in Bezug auf die Ehefrau von Aws ibn As-Sâmit. Der Vers zum Thema „Liân“ (Verfluchung bei angenommenem Ehebruch; AdÜ) kam in der Angelegenheit von Uwaimir Al-Adschlânî oder Hilâl ibn Umayya herab. Nach ähnlichen Berichten stand dies im Zusammenhang mit bestimmten Götzenanbetern in Mekka oder Leuten der Schrift unter Juden und Christen oder es kam bezüglich einer Gruppe der Mu‘minûn herab. Diejenigen, die das sagten, meinten damit nicht, dass das Urteil des Verses sich speziell nur auf jene bekannten Personen und keine anderen beziehe. Unter keinen Umständen behauptet so etwas ein Muslim oder ein anderer vernünftiger Mensch. Die Gelehrten haben unterschiedliche Auffassungen über den überlieferten allgemeinen Wortlaut im Zusammenhang mit einem Hinabsendungsanlass und ob man sich auf diesen beschränkt oder nicht. Kein muslimischer Gelehrter sagte, dass die allgemeinen Aussagen im Qurân und der Sunna sich nur auf eine bestimmte Person beziehen. Sie meinen damit vielmehr, dass es sich auf die Art der genannten Person bezieht, also allgemein auf alle Personen, die so ähnlich wie der Genannte sind. Die allgemeine Aussage beschränkt sich dabei nicht auf den Wortlaut.
Ein Vers, der einen speziellen Hinabsendungsanlass besitzt (und einen Befehl oder ein Verbot enthält), gilt für die betreffende Person und alle anderen, die von gleicher Art sind. Und das Gleiche gilt, wenn (der Vers) eine Beschreibung enthält, bei der es um Lob oder Tadel geht.“
Und Allâh weiß es am besten!
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