Als die fünfte Säule des Islâm ist der Haddsch ein Muss für jene Gläubigen, die körperlich und finanziell in der Lage sind diese Reise anzutreten. Der zahlenmäßige Anstieg der Pilger im Laufe der Jahre war gewaltig. Gegenüber den mehr als Hunderttausend, die den Haddsch mit dem Propheten im Jahre zehn nach der Hidschra verrichteten, gibt es heutzutage jährlich 2,5 Millionen Menschen, die dies tun. Die Zahl wäre zehn Mal höher, wenn die saudische Regierung kein Pilgerkontingent für muslimische Länder auf Grund logistischer Gründe durchgesetzt hätte.
Apropos Lebensfreude des Haddsch: Im Jahr, in dem der Prophet Muhammad den Haddsch verrichtete, fiel ein Gefährte von seinem Kamel, das aus Versehen auf ihn trat und ihm das Genick brach. Der Gefährte starb an den Verletzungen. Der Prophet sagte: „Wascht seinen Körper mit Wasser und Sidr (Jujubeblätter) und bestattet ihn mit beiden Gewändern! Bedeckt weder seinen Kopf, noch berührt ihn mit Kampfer - denn wahrhaftig, er wird am Tag der Auferstehung die Talbiyya rufend [zu Allâh] zurückkehren! [Indem er sagt Labbaîka Allâhumma Labbaîk].“ (Al-Buchârî und Muslim)
Über ein anderes Ereignis berichtete ’Amr Ibn Al-’Âs : „Als der Islâm in mein Herz trat, ging ich zu Allâhs Gesandten und sagte: „Gib mir deine Hand, damit ich dir Treue schwöre!“ Der Prophet fragte mich, als ich zögerte: „Was ist, ’Amr?“ Ich sagte: „Ich möchte eine Bedingung stellen.“ Er fragte: „Welche?“ Ich antwortete: „Dass Allâh mir vergeben wird.“ Daraufhin sagte Allâhs Gesandter : „Wusstest du nicht, dass der Islâm alles tilgt, was vor ihm geschah, und dass die Hidschra (Auswanderung) alles tilgt, was vor ihr geschah, und dass der Haddsch alles tilgt, was vor ihm geschah?““ (Muslim)
Er sagte ferner: „Wer den Haddsch verrichtet und keine Unanständigkeit oder Sünde begeht, kehrt zurück wie an dem Tag, an dem seine Mutter ihn gebar.“ (Al-Buchârî)
Die Belohnung für einen angenommenen Haddsch, sagte der Prophet , ist nichts Anderes als das Paradies.
Dies ist der Schlüssel: Die Belohnung des Paradieses ergibt sich aus einem angenommenen Haddsch und die Annahme ergibt sich aus einer reinen Absicht und der Einhaltung von Allâhs Geboten. Einige von uns kommen vom Haddsch zurück und verspüren eine innerliche Ruhe. Andere fühlen sich unwohl, weil sie während des Haddsch nicht immer geduldig waren. Andere drücken Unzufriedenheit aus, weil sie den von ihrem Reiseveranstalter versprochenen Komfort nicht erhalten haben.
Pilger aus dem Westen bekommen im Allgemeinen sehr viele Hinweise, was sie tun sollen und was sie während des Haddsch erwartet. Dennoch gibt es keinen Ersatz für die Ehrfurcht gebietende, eindrucksvolle persönliche Erfahrung. Trotz der Probleme ist unser Haddsch im Vergleich zu dem des Propheten und der Muslime früherer Zeiten ein Picknick. Damals gab es keine Flugzeuge oder Autos und auch keine 5-Sterne-Hotels. Sogar Schiffe waren gemäß heutiger Normen nicht stabil. Über das Meer und durch die Wüste reisend setzten sich die Pilger Piraten und Räubern aus. Die Reise nach Makka dauerte Wochen. Die Menschen verabschiedeten sich von den Pilgern, als würden sie eine Reise antreten, von der sie nie wieder zurückkehren.
Der Qurân berichtet über die Reisen früherer Pilger wie folgt (sinngemäß): „Und rufe unter den Menschen zum Haddsch auf, dass sie zu dir kommen zu Fuß und auf jedem schlanken Reittier (mit jedwedem Transportmittel) aus jedweder fernster Gegend, …“ (Sûra 22:27)
Heutzutage fliegen die meisten Reisenden in bequemen Passagiermaschinen, in denen sie mit üppigen Mengen an Mahlzeiten, Getränken und Snacks bedient werden. Dann werden sie in klimatisierten Bussen befördert und in angenehmen Hotels untergebracht, die in Gehweite vom Haram (dem sakrosankten Gebiet) entfernt liegen. Dennoch beschweren sich einige von uns, dass es nicht gut genug war oder dass sie ihre Mahlzeiten nicht pünktlich bekommen haben.
Was ist der Zweck des Haddsch? Ist er dazu da, um unsere körperliche Ausdauer und finanzielle Opfergabe zu testen oder um uns die Gleichwertigkeit der muslimischen Umma (Gemeinschaft) vor Allâh zu zeigen? Einige haben das Verweilen in ’Arafât, dem wichtigsten Ritual des Haddsch, mit der Begegnung der Menschheit mit ihrem Herrn am Jüngsten Tag verglichen. Obwohl es nichts Vergleichbares mit dem Jüngsten Tag in unserem Erfahrungsschatz gibt, deutet der Vergleich auf etwas Wichtiges hin.
Betrachte die ersten zwei Verse der Sûra Al-Haddsch:
„O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn! Gewiss, das Beben der Stunde ist eine gewaltige Sache.An dem Tag, da ihr es seht, wird jede Stillende vergessen, wen sie stillt, und wird jede Schwangere ihren Fetus gebären. Und du wirst die Menschen trunken sehen, und sie sind nicht trunken; aber die Pein Allâhs ist heftig.“ (Sûra 22:1-2)
Beim Haddsch werden wir von unseren eigenen Angelegenheiten so sehr vereinnahmt, dass man egoistisch wird, obwohl nur ein winzig kleiner Bruchteil der Menschheit versammelt ist im Gegensatz zum Jüngsten Tag, an dem jeder anwesend sein wird. Dieser Tag wird wie kein anderer sein. Wenn man über den ersten Vers der Sûra Al-Haddsch nachdenkt, wird ziemlich klar, warum Allâh uns ermahnt Ihn zu fürchten. Allâh im Diesseits zu fürchten und zu gehorchen scheint die einzige Möglichkeit zu sein, wenn wir vor der Schrecklichkeit und dem Leid am Tag der Versammlung verschont werden möchten.
Der Haddsch erinnert uns an jene letzte Reise, wenn die Reise schwierig ist und eine Menge Vorbereitung und Versorgung erfordert. Während nicht jeder in der Lage ist den Haddsch zu vollziehen, wird die gesamte Menschheit ohne Ausnahme sterben und die letzte Reise antreten müssen.
Als jemand den Propheten ängstlich nach dem Ende aller Zeit fragte, antwortete dieser mit einer Gegenfrage: „Was hast du denn dafür vorbereitet?“ (Al-Buchârî und Muslim)
Ganz gleich welchen Geldbetrag und welche Vorbereitung wir für den Haddsch treffen, ist es die ehrliche Absicht, die am meisten zählt. Was die letzte Reise betrifft, so ist die beste Versorgung das, was Allâh uns im folgenden Vers vorschreibt: „… Und versorgt euch mit Reisevorrat, doch der beste Vorrat ist demütiges Fürchten Allâhs. Und fürchtet Mich, o die ihr Verstand besitzt!“ (Sûra 2:197)
Indem der Haddsch uns einen flüchtigen Blick auf diese Reise bietet, sollte er dabei helfen uns darauf vorzubereiten. Der Haddsch flößt unter Anderem unseren Herzen demütiges Fürchten Allâhs ein, das man für diese Reise benötigt. Es ist die Geschichte des Sieges des Menschen über den Satan und dessen Einflüsterungen, der höchsten Aufopferung des Propheten Abrahams . Eine Geschichte der Hingabe seiner tugendhaften Frau Hâdschar gegenüber Allâh und des aufrichtigen Gehorsam ihres Sohnes Ismâ'îls gegenüber Allâhs Geboten. Es ist ein Spiegel, in dem wir die Geschichte der Ka’ba sehen können, das Haus Allâhs, das Abraham und sein Sohn bauten. Es ist eine Beteuerung, wie Allâh das Gedenken Seiner aufrichtigen anbetend Dienenden erhöht und sie in den Herzen der Nachkommen beliebt macht. Das Haus Allâhs, das der Prophet Abraham und sein Sohn bauten, ist ein lebendes Wunder. Es ist ein Zeuge der unaufhörlichen, ununterbrochenen Verherrlichung Allâhs.
Es ist wichtig, dass wir uns an den spirituellen Aspekt des Haddsch erinnern und das Streben nach übertriebener physischer Bequemlichkeit unterlassen. Der Haddsch ist kein Urlaub, sondern eine Pflicht, die wir Allâh schuldig sind. Die Luxuspakete, 5-Sterne-Hotels und bequemen Busse tragen nicht zur Annahme des Haddsch bei. Vielmehr können sie einen vom Haddsch ablenken.
Während des Haddsch sollten wir uns auf die Rituale konzentrieren, über die Fehler Anderer hinwegsehen und nach Allâhs Vergebung streben. Eine schlichte Besinnung, während man in der ’Arafât-Ebene steht, kann zu einer Erfahrung der Buße werden. Bei der Rückkehr vom Haddsch sollten wir es vermeiden uns ständig mit Negativem zu befassen. Ein ruhiges und vergebendes Herz sowie aufrichtige Taten wären gute Anzeichen, so Allâh will, dass der Haddsch angenommen wurde.