Wenn ich alleine bete, z. B. das freiwillige Qiyâm-Gebet in der Nacht, oder wenn ich das Gebet in der Moschee nicht erreiche, dann bete ich und stelle mir vor, Imâm zu sein, während hinter mir die Menschen beten. Auf diese Weise werden mein Gebet und meine Rezitation schöner. Gilt das als unerlaubte Neuerung und Augendienerei, auch wenn mich dabei niemand beobachtet? Ist mein Gebet gültig? Was soll ich tun, wenn ich Imâm werden will, auch wenn ich den Qurân nicht vollständig gelesen habe? − denn ich möchte zu Allâh aufrufen.
Der Lobpreis gebührt Allâh und möge Allâh Seinen Gesandten sowie dessen Familie und Gefährten in Ehren halten und ihnen Wohlergehen schenken!
Zweifellos entspricht die Form des Gebets, wie du es beschrieben hast, damit du das Gebet besser machst, wenn du alleine betest, so nicht der Scharîa. Es wird vom Anbeter verlangt, sein Gebet zu vervollkommnen, damit er das Wohlgefallen Allâhs des Erhabenen erlangt. Die Motivation bei einem möglichst schönen Verrichten des Gebets darf es nicht sein, die (bewundernden) Blicke der Menschen zu ernten. Denn ihre Zufriedenheit nützt dem Menschen nichts und ihr Tadel schadet ihm nicht. Vielmehr ist es Allâh der Erhabene allein, dessen Lob schmückt und dessen Tadel entehrt!
Ibn Al-Qayyim schrieb in einem Brief, den er an einen seiner Brüder sandte:
Wichtig ist zu wissen, dass das Gebet, in dem das Auge Stille findet und das Herz zur Ruhe kommt, sechs Aspekte vereint:
1) Aspekt der Aufrichtigkeit: Das ist, dass der Träger dieser Eigenschaft und der zu ihr Aufrufende dies aus der Sehnsucht nach Allâh, aus Liebe zu Ihm, aus dem Streben nach Seinem Wohlgefallen und der Nähe zu Ihm und aus der Zuneigung zu Ihm macht. Er möchte Seine Befehle genauestens ausführen. Bei alldem ist es unter keinen Umständen ein weltlicher Vorteil, der ihn motiviert. Es geht ihm nur um das Streben nach dem Antlitz seines Herrn, des Allerhöchsten, die Liebe zu Ihm, die Furcht vor Seiner Strafe und die Hoffnung auf Seine Vergebung und Belohnung.
2) Aspekt der Schauplatz der Wahrhaftigkeit und der Ausschließlichkeit. Man entleert dabei sein Herz für Allâh und wendet sich mit ganzem Einsatz Allâh zu. Man sammelt es und lässt es auf die beste und vollständigste Weise − äußerlich und innerlich − schlagen. Das Gebet hat eine äußere und eine innere Form. Das Äußere sind die sichtbaren Handlungen und die hörbaren Worte. Die innere Form sind Ehrfurcht, Kontrolle, Ausleeren des Herzens für Allâh und dass man das Herz im Gebet vollständig Allâh widmet, so dass sich das Herz nicht von Ihm ab- und etwas anderem zuwendet. Das alles ist wie der Geist des Gebets, während die Handlungen dem Körper entsprechen.
Wenn ein Gebet ohne Geist ist, so ist es wie ein Körper ohne Seele. Sollte sich ein Anbeter nicht schämen, Seinem Herrn auf diese Weise gegenüberzutreten? In so einem Fall wird das Gebet wie ein abgenutztes Gewand zusammengerollt und seinem Besitzer ins Gesicht geschlagen. Und das Gebet wird sprechen: Möge Allâh dich verloren gehen lassen, wie du mich verloren hast! Ein Gebet, das äußerlich und innerlich vollkommen ist, steigt auf mit einem Licht und ist ein so deutlicher Beweis wie das Licht der Sonne. Dann wird es Allâh vorgelegt, der damit zufrieden ist und es annimmt. Dann wird es sagen: Möge Allâh dich bewahren, wie du mich bewahrt hast!
3) Aspekt der Nachahmung und des Folgens: Der Betende muss darauf bedacht sein, dem Beispiel des Propheten (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) in seinen Gebeten zu folgen. Er soll so beten, wie er zu beten pflegte, und von dem Abstand nehmen, was die Menschen in das Gebet eingeführt haben an Hinzufügungen, Auslassungen und Haltungen, über die nichts vom Gesandten Allâhs oder seinen Gefährten berichtet wurde.
4) Aspekt des Ihsâns. Das ist die Vorstellung des Betenden, dass er beobachtet (Muraqâba) wird. Daher betet er Allâh an, als ob er Ihn sieht. Dieser Aspekt ergibt sich aus dem vollkommenen Îmân an Allâh und Seine Namen und Eigenschaften, so als sähe man Allâh, gelobt sei Er, über Seinem Thron, wie Er gebietet und verbietet und die Angelegenheiten der Schöpfung regelt und wie der Befehl von Ihm herabsteigt und (die Taten) heraufsteigen. Ihm werden die Taten vorgelegt und der Geist der Verstorbenen. All das bezeugt der Betende in seinem Herzen und er bezeugt Seine Namen und Eigenschaften. Er bezeugt Allâh als den Lebendigen und aus sich Bestehenden, den Hörenden und Sehenden, den Allmächtigen, Weisen, den Gebietenden und Verbietenden. Er liebt und verabscheut, hat Wohlgefallen und zürnt, und Er tut, was Er will. Er urteilt, wie Er will und ist über Seinem Thron, wobei Ihm nichts von den Taten, Worten und dem Inneren der Menschen verborgen ist. Auch den heimlichen Blick kennt Er und was die Brust des Menschen verborgen hält.
Der Aspekt des Ihsâns ist die Wurzel aller Taten des Herzens und sie bringt Folgendes hervor: Schamhaftigkeit, Würde, Verehrung, Ehrfurcht, Liebe, Reue, Gottvertrauen, Demut und Hingabe an Allâh, gepriesen sei Er. Dies lässt den Einflüsterer (Schaitân) verstummen und auch die Einfälle aus der eigenen Seele. So verbinden sich Herz und Streben nach Allâh. Der Anteil, den der Anbeter an Nähe zu Allâh erhält, entspricht Seinem Anteil, den er an der Stufe des Ihsâns hat. Dementsprechend unterscheiden sich die Gebete, so dass zwischen den Gebeten zweier Menschen ein solcher Unterschied ist wie zwischen Himmel und Erde. Dies, obwohl ihr Stehen im Gebet, ihre Verbeugung und ihre Niederwerfung gleich sind!
5) Aspekt der Dankbarkeit: Hier bezeugt der Anbeter die Dankbarkeit gegenüber Allâh, gepriesen sei Er, der ihn in diese Stellung erhoben und ihn dazu befähigt hat, sein Herz und seinen Körper in Seinen Dienst zu stellen. Denn ohne Allâh, gepriesen sei Er, wäre dies alles nicht möglich gewesen, so wie die Gefährten in der Gegenwart des Propheten (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) zu rezitieren pflegten: „Bei Allâh, wenn Allâh nicht wäre, wären wir nicht geleitet worden, nicht gespendet hätten wir, nicht gebetet.“
Allâh der Erhabene sagt: „Sie halten es dir als Wohltat vor, dass sie Muslime geworden sind. Sag: Haltet mir nicht eure (Annahme des) Islâms als Wohltat vor. Nein! Vielmehr hält Allâh euch die Wohltat vor, dass Er euch zum Glauben geleitet hat, wenn ihr wahrhaftig seid“ (Sûra 49:17). Allâh ist derjenige, der den Muslim zum Muslim gemacht hat und den Betenden zum Betenden. Ibrâhîm , der Freund Allâhs, sagt nach dem Qurân: „Unser Herr, mache uns Dir ergeben und von unserer Nachkommenschaft eine Dir ergebene Gemeinschaft“ (Sûra 2:128). „Mein Herr, mach, dass ich das Gebet verrichte, (ich) und (auch einige) aus meiner Nachkommenschaft“ (Sûra 14:40). Wohltaten aufzählen, das darf nur Allâh allein. Denn er versetzte den Anbeter in die Lage, Ihm gehorsam zu zeigen. Und das ist eine der größten Wohltaten für ihn.
Auch sagte der Allmächtige: „Was ihr an Gunst erfahrt, ist von Allâh“ (Sûra 16:53). „Aber Allâh hat euch den Glauben lieb gemacht und in euren Herzen ausgeschmückt, und Er hat euch den Unglauben, den Frevel und den Ungehorsam verabscheuen lassen“ (Sûra 49:7). Dieser Aspekt ist eine der größten und nützlichsten für den Anbeter. Je stärker der Anbeter im Tauhîd ist, desto vollständiger ist sein Anteil an diesem Aspekt. Der Nutzen, der hierin liegt, verhindert, dass Stolz auf die eigenen Handlungen und Geltungssucht (vor anderen) im Herzen aufkommen. Wenn er bezeugt, dass Allâh, gepriesen sei Er, derjenige ist, der alles gewährt (Al-Mannân) und ihm die Rechtleitung ermöglicht, dann hält ihn dieser Aspekt von Selbstliebe und Augendienerei ab.
6) Aspekt der Unzulänglichkeit: Dies beinhaltet, dass der Anbeter mangelhaft ist. So sehr er sich auch in seinem Stehen darum bemüht, dem Befehl nachzukommen und so sehr er sein Bestes gibt, stets ist das Recht Allâhs auf ihn größer. Daher muss er darauf mit weiterem Gehorsam, Hingabe und Dienstbarkeit reagieren. Die Größe und Majestät Allâhs verlangen, dass er so verehrt wird, wie es Ihm gebührt“ (Zitat gekürzt).
Was die von dir erwähnte Art betrifft, wie du zuvor gebetet hast, so hoffen wir, dass das Gebet für dich gültig ist und du es nicht noch einmal verrichten musst. Doch der Lohn dafür ist nicht derselbe wie bei jemandem, der in seinem Gebet nur Allâh berücksichtigt!
Was deinen Wunsch betrifft, die Menschen als Imâm im Gebet zu leiten, um dafür den Lohn des Imâms und den Lohn eines Aufrufers zu Allâh zu erlangen, so ist dies ein hehres Ziel, solange es nicht mit dem Makel der Augendienerei und dem Streben nach Ansehen und weltlichem Aufstieg verunstaltet ist.
Dies ist eines der Ziele der aufrichtigen Anbeter, die Allâh der Erhabene lobend erwähnt. Es ist das Verlangen, ein Vorbild zu sein, dem die Menschen in den guten Taten folgen.
Ar-Râzî erklärt in seinem Tafsîr zu den Anbetern des Allererbarmers den Vers „(...) und mache uns für die Rechtschaffenen zu einem Vorbild“ (Sûra 25:74). Er schreibt dazu: „Der Vers weist darauf hin, dass man die Führung in der Religion begehren und anstreben darf. Ibrâhîm , der Freund Allâhs, sagte: ‚Und verleihe mir einen Ruf an Wahrhaftigkeit unter den späteren (Geschlechtern)‘ (Sûra 26:84).“
Und Allâh weiß es am besten!
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