7. Der wahre Muslim glaubt, dass Gottes Schöpfung sinnstiftend ist und dass das Leben einen edlen Zweck hat, der über die physischen Bedürfnisse und materiellen Tätigkeiten des Menschen hinausgeht. Der Lebenszweck ist die Anbetung Gottes. Dies bedeutet nicht, dass wir unser gesamtes Leben in ständiger Abschottung und uneingeschränkter Meditation verbringen müssen. Gott anzubeten bedeutet, Ihn zu kennen, Ihn zu lieben, Seine Anordnungen zu befolgen, Seinem Gesetz in allen Lebensaspekten Geltung zu verschaffen, Seiner Sache zu dienen, indem man das Rechte verrichtet und das Verwerfliche verwirft und Ihm, sich selbst sowie seinen Mitmenschen gegenüber gerecht ist. Gott anzubeten bedeutet das Leben zu „leben“ und nicht vor ihm davonzulaufen. Kurz gesagt bedeutet Gott anzubeten, sich von Seinen Höchsten Attributen durchdringen zu lassen. Dies ist keinesfalls eine einfältige Aussage. Es ist auch keine allzu starke Vereinfachung der Angelegenheit. Es ist absolut umfassend und schlüssig. Wenn also das Leben einen Zweck hat und der Mensch dazu erschaffen ist, diesem Zweck zu dienen, kann er der Verantwortlichkeit nicht entkommen. Er kann seine Existenz nicht leugnen und die vitale Funktion, die er übernehmen muss, nicht ignorieren.
Wenn Gott ihn mit irgendeiner Verantwortlichkeit betraut, versorgt Er ihn mit all der hierfür erforderlichen Unterstützung. Er stattet ihn mit Intelligenz und mit der Fähigkeit aus, seine Handlungsweise zu wählen. Gott empfiehlt dem Menschen daher eindringlich, sein Möglichstes zu tun, um seinen Lebenszweck vollständig zu erfüllen. Sollte er dies versäumen oder sollte er sein Leben zweckentfremden oder seine Pflichten vernachlässigen, so wird er Gott gegenüber für seine falschen Taten verantwortlich gemacht (siehe Sûra 21:17-18; 51:56-58; 75:37).
8. Der wahre Muslim glaubt, dass der Mensch einen besonders hochrangigen Status in der Hierarchie aller bekannten Geschöpfe genießt. Er hält diese hervorragende Stellung inne, da einzig er mit verstandesmäßigen Fähigkeiten, spirituellen Aspirationen und Handlungsvermögen ausgestattet ist. Je hervorragender sein Status jedoch ist, desto größer ist auch seine Verantwortlichkeit. Er hält die Stellung des Statthalters Gottes auf Erden inne. Der Mensch, der von Gott dafür bestimmt ist, Sein engagierter Beauftragter zu sein, muss zwangsläufig etwas Macht und Autorität besitzen und zumindest potenziell mit Ehrenhaftigkeit und Integrität ausgestattet sein. Dies ist die Stellung des Menschen im Islâm; keine von Geburt bis zum Tode abgeurteilte Rasse, sondern ein würdevolles Wesen, das potenziell zu guten und edlen Taten imstande ist. Die Tatsache, dass Gott Seine Gesandten aus dem Menschengeschlecht erwählte, zeigt, dass der Mensch vertrauenswürdig und fähig ist und enorme Schätze an Tugendhaftigkeit erlangen kann (siehe Sûra 2:30-34; 6:165; 7:11; 17:70-72, 90-95).
9. Der wahre Muslim glaubt, dass jeder Mensch als „Muslim“ geboren wird. Dies bedeutet, dass die Geburt an sich im Einklang mit dem Willen Gottes, entsprechend der Realisierung Seiner Pläne und gemäß Seinen Anordnungen erfolgt. Es bedeutet außerdem, dass jeder Mensch mit spirituellen Potenzialen und intellektuellen Neigungen ausgestattet ist, die ihn zu einem guten Muslim machen können, sofern er den richtigen Zugang zum Islâm findet und seine angeborene Veranlagung entfalten kann. Viele Menschen würden den Islam bereitwillig annehmen, wenn er ihnen denn richtig präsentiert würde, da er das Göttliche Rezept für diejenigen ist, die ihre moralischen und spirituellen Bedürfnisse erfüllen und ihren natürlichen Bestrebungen nachgehen möchten, für diejenigen, die ein konstruktives und solides Leben führen wollen, sei es persönlich oder gesellschaftlich, national oder international. Denn der Islâm ist ja die universale Religion Gottes, des Schöpfers der Menschennatur, Der weiß, was am besten für die Menschennatur ist (siehe Sûra 30:30; 64:1-3; 82:6-8).
10. Der wahre Muslim glaubt, dass jeder Mensch sündenfrei ist und keine geerbte Tugendhaftigkeit besitzt. Er entspricht einem Buch mit leeren Seiten. Sobald der Mensch das Reifealter erlangt, ist er verantwortlich für seine Taten und Vorhaben, sofern er sich normal entwickelt und geistig gesund ist. Der Mensch ist nicht nur sündenfrei, bis er sündigt, sondern darf auch Dinge nach seinen Plänen und auf eigene Verantwortung unternehmen. Diese doppelte Freiheit, die Sündenfreiheit und die Freiheit, effektive Dinge zu tun, entlastet das Gewissen des Muslims vom immensen Druck der Erbsünde. Sie befreit seine Seele und seinen Geist von der unnötigen und von der Erbsündendoktrin hervorgerufenen Belastung.
Dieses islâmische Freiheitskonzept beruht auf dem Prinzip der Gerechtigkeit Gottes und der unmittelbaren Verantwortlichkeit des Individuums gegenüber Gott. Jeder Mensch muss seine eigene Last tragen und sich für seine eigenen Taten verantworten, da niemand für die Sünde eines anderen büßen kann. Daher glaubt ein Muslim, dass es die eigene Aufgabe Adams, wenn er denn die erste Sünde beging, war, für diese Sünde zu sühnen. Die Behauptung, dass Gott unfähig war, Adam zu vergeben, und jemand Anders für dessen Sünde sühnen lassen musste, oder die Annahme, dass Adam nicht um Vergebung bat oder darum bat, diese ihm jedoch nicht gewährt wurde, wäre äußerst unpassend und unvereinbar mit Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sowie mit Seiner charakteristischen Eigenschaft des Vergebens und Seiner Fähigkeit zum Vergeben. Die erwähnten Thesen als gegeben vorauszusetzen wäre eine dreiste Missachtung der Vernunft und ein eklatanter Bruch mit dem eigentlichen Gotteskonzept (siehe Belegstellen des neunten Artikels oben sowie Sûra41:46; 45:15; 53:31-42; 74:38; das Sündenkonzept folgt unten).
Auf rationaler Basis ebenso wie gemäß dem Qurân glaubt der Muslim, dass Adam sein Vergehen erkannte und Gott um Vergebung bat, genauso wie jeder andere verständige Sünder dies tun würde. Auf derselben Basis glaubt der Muslim, dass Gott der Vergebende und Barmherzige Adam Vergebung gewährte (Sûra 2:35-37; 20:117-122). Daher kann der Muslim unmöglich eine Doktrin akzeptieren, die besagt, dass Adam gemeinsam mit dem gesamten Menschengeschlecht verdammt wurde und ihnen erst vergeben wurde, als Jesus kam, um für ihre Sünden zu büßen. Folglich kann der Muslim die dramatische Geschichte des Kreuzestodes Jesu zur unwiderruflichen Aufhebung aller Sünden der Menschheit nicht in Betracht ziehen.
An dieser Stelle muss der Leser vor falschen Schlussfolgerungen gewarnt werden! Der Muslim glaubt nicht an die Kreuzigung Jesu durch dessen Feinde. Dieses Nichtglauben an die Doktrin mindert weder die Ehrfurcht des Muslims vor Jesus noch den hohen Status Jesu im Islâm. Er bringt nicht einmal die Überzeugung des Muslims ins Wanken, dass Jesus ein ausgezeichneter Prophet Gottes ist. Vielmehr akzeptiert der Muslim Jesus durch die Ablehnung dieser Doktrin - jedoch mit mehr Hochachtung und größerem Respekt - und betrachtet seine ursprüngliche Botschaft als wesentlichen Teil des Islâm. Es soll also nochmals gesagt werden: Um ein Muslim zu sein, muss ein Mensch alle Propheten Gottes akzeptieren und respektieren, ohne irgendeinen Unterschied zwischen ihnen zu machen! Der allgemeine Status Jesu im Islâm wird in einem späteren Kapitel ausführlicher erörtert.
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 1
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 2
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 4
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 5