5. Der wahre Muslim glaubt an den Tag des Gerichts. Diese Welt wird eines Tages zu einem Ende kommen, und die Toten werden wiederauferstehen und sich ihrem letzten und gerechten Prozess stellen. Alles, was wir in dieser Welt tun, jede Absicht, die wir fassen, jede Bewegung, die wir machen, jeder Gedanke, den wir hegen, und jedes Wort, das wir aussprechen, werden insgesamt gezählt und in präzisen Aufzeichnungen festgehalten. Am Tage des Gerichts werden diese hervorgebracht. Menschen mit guten Aufzeichnungen werden großzügig belohnt und in Gottes Himmel herzlich empfangen, und diejenigen mit schlechten Aufzeichnungen werden bestraft und in die Hölle geworfen. Die tatsächliche Beschaffenheit des Himmels und der Hölle sowie deren genaue Beschreibung sind einzig Gott bekannt. Im Qurân und in den Überlieferungen Muhammads gibt es Beschreibungen des Himmels und der Hölle. „Im Himmel…“ sagte Muhammad „…gibt es Dinge, die kein Auge jemals gesehen, kein Ohr jemals gehört und kein Verstand sich jemals ausgemalt hat.“ Dennoch glaubt der Muslim, dass es definitiv eine Vergütung und eine Belohnung für die guten Taten sowie eine Bestrafung für die schlechten Taten geben wird. Dies ist der Tag der Gerechtigkeit und der endgültige Abgleich aller Rechnungen.
Wenn einige Leute denken, sie seien gerissen genug, um mit ihren Missetaten davonzukommen, genauso wie sie gelegentlich den Strafen der weltlichen Gerichte entkommen, dann liegen sie falsch. Sie werden am Tage des Gerichts hierzu nicht imstande sein. Sie werden an Ort und Stelle ertappt - schutzlos, ohne jeglichen Anwalt oder Rechtsbeistand, der für sie eintritt. All ihre Taten sind für Gott sichtbar und werden von Seinen Beauftragten erfasst. Wenn einige rechtschaffene Menschen gute Taten verrichten, um Gott zu gefallen, und in dieser temporären Welt scheinbar keine Würdigung oder Anerkennung erhalten, so werden sie an eben diesem Tag schließlich ihre volle Belohnung erhalten und immens gewürdigt. Jedem wird absolute Gerechtigkeit zukommen.
Der Glaube an den Tag des Gerichts ist die letzte befreiende Lösung für viele Probleme unserer Welt. Es gibt Menschen, die Sünden begehen, Gott missachten und unsittlichen Handlungen nachhängen, dennoch scheinen sie „vordergründig“ erfolgreich im Handel und glücklich im Leben zu sein. Es gibt auch tugendhafte und Gottes bewusste Menschen, die dennoch scheinbar weniger an Belohnung für ihre aufrichtigen Bemühungen erhalten und im Diesseits mehr leiden. Wenn die schuldigen Menschen dem weltlichen Gesetz unbeschadet entkommen können und obendrein auch noch wohlhabender sind, was bleibt dann für die rechtschaffenen Menschen? Was fördert den Anspruch auf Moral und Tugend? Es muss eine Methode geben, um Tugend zu belohnen und Bösem Einhalt zu gebieten! Wenn dies nicht hier auf der Erde getan wird – und wir wissen, dass es nicht immer oder umgehend getan wird –, so muss es eines Tages getan werden, sprich am Tage des Gerichts. Dies bedeutet nicht, dass Ungerechtigkeit geduldet oder Verderben in dieser Welt toleriert werden sollen! Die Benachteiligten sollen damit nicht ruhiggestellt und deren Ausbeuter nicht ermutigt werden! Vielmehr sollen damit Abweichler vom rechten Weg gewarnt und daran erinnert werden, dass Gottes Gerechtigkeit früher oder später ihren Lauf nehmen wird (siehe beispielsweise die vorigen Belegstellen).
6. Der wahre Muslim glaubt an das zeitlose Wissen Gottes und an Dessen Fähigkeit, Seine Pläne zu erstellen und auszuführen. Gott ist weder desinteressiert an dieser Welt noch ihr gegenüber gleichgültig. Sein Wissen und seine Macht sind immerfort präsent, um in Seinem gewaltigen Reich Ordnung zu halten und die vollständige Herrschaft über Seine Schöpfung zu wahren. Er ist weise und liebend. Sofern dies in unserer Denkweise verankert ist, sollten wir all Sein Handeln getrost akzeptieren, auch wenn wir es möglicherweise nicht vollständig verstehen oder gar denken, es sei ungünstig! Wir sollten fest an Ihn glauben und all sein Handeln akzeptieren, da unser Wissen begrenzt ist und unsere Ansichten auf individuellen oder persönlichen Betrachtungen beruhen, wohingegen Sein Wissen grenzenlos ist und Er auf einer universelleren Basis plant!
Dies macht den Menschen keineswegs fatalistisch oder hilflos. Es zeigt lediglich die Grenzlinie zwischen dem Interesse Gottes und der Verantwortlichkeit des Menschen. Da wir von Natur aus endlich und begrenzt sind, besitzen wir ein endliches und begrenztes Maß an Macht und Freiheit. Wir können nicht alles tun, und Er macht uns gnädigerweise nur für unsere eigenen Taten verantwortlich. Dinge, die wir nicht verrichten können, oder Dinge, die Er Selbst durchführt, befinden sich nicht in unserem Verantwortlichkeitsbereich. Er ist gerecht und hat uns beschränkte Macht verliehen, die unserer endlichen Natur und begrenzten Verantwortlichkeit entspricht. Andererseits hindern uns Gottes zeitloses Wissen und Dessen Fähigkeit, Seine Pläne auszuführen, nicht daran, eigene Pläne in unserem eigenen begrenzten Fähigkeitsbereich zu machen. Er hält uns sogar zum Denken, Planen und zu vernünftiger Entscheidungsfindung an. Wenn die Dinge allerdings nicht so verlaufen wie gewollt oder geplant, sollten wir nicht den Glauben verlieren oder uns seelischen Belastungen und niederschmetternden Sorgen ergeben! Wir sollten es wieder und wieder versuchen! Wenn die Ergebnisse nicht zufriedenstellend sind, dann wissen wir, dass wir unser Bestes getan haben, und für die Ergebnisse nicht verantwortlich gemacht werden können, da alles, was sich jenseits unserer Fähigkeit und Verantwortlichkeit befindet, allein Gottes Angelegenheit ist. Die Muslime nennen diesen Glaubensartikel den Glauben an den Göttlichen Beschluss (Qadâ) und die Göttliche Vorherbestimmung (Qadar), was mit anderen Worten schlicht bedeutet, dass Gottes zeitloses Wissen Ereignisse voraussieht und Ereignisse gemäß dem präzisen Wissen und Beschluss Gottes stattfinden (siehe beispielsweise Sûra 18:29; 41:46; 53:33-62; 54:49; 65:3; 76:30-31).
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 1
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 3
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 4
Die grundlegenden Glaubensartikel im Islâm - Teil 5