Es war schwierig für mich, zum Islam zu gelangen. Seit längerer Zeit spürte ich, dass das Prinzip des Tauhîd, der alleinigen Verehrung Gottes, und die Aufrichtigkeit des Qurân die Wahrheit sind. Allerdings war ich ein Produkt meiner Umwelt und deshalb privilegiert, egoistisch und selbstsüchtig. Ich dachte nur an die Dinge, die ich verlieren würde, wenn ich konvertiere: Freunde, Liebesaffären, Respekt der Kollegen und natürlich das Lesen eines Buches in der dunklen Ecke einer Bar, während ich an einem heißen Tag ein kaltes Bier trinke. Diese Dinge waren ein Teil dessen, worauf ich meine Persönlichkeit gründete. Deshalb empfand ich, dass ich meine Persönlichkeit verlieren würde, falls und wenn ich Muslimin werden würde.
Irgendwo in diesem Bündel von Selbstbefangenheit, die auf den Verlust fokussiert, befand sich die absolut reale Furcht davor, dass selbst wenn ich mich zum Islam bekennen würde, ich den Erwartungen der anderen niemals gerecht werde würde. Trotzdem schien die Gruppe von muslimischen Freunden, mit der ich gesegnet war, ihre Verantwortung ohne jegliche Anstrengungen zu übernehmen. Ich empfand, dass ich niemals die Würde und das Selbstbewusstsein zeigen könnte, das sie besaßen, wenn sie eine Moschee besuchten. Vor allem empfand ich, dass ich den Erwartungen Allâhs des Hocherhabenen nicht gerecht werden könnte.
Obwohl der Islâm uns lehrt, dass dieser Lebensstil das perfekte Gleichgewicht zwischen Asketentum und Reizüberflutung ist, wusste ich, dass das täglich fünfmalige Gebet und das Fasten im Monat Ramadân unglaublich herausfordernd sein würden. Wenn ich mir sicher wäre, dass der Islâm die Wahrheit ist, dann wäre jegliches Zögern davor, kopfüber hineinzuspringen, ein Beweis für meine fehlende Hingabe und Liebe zu Allâh dem Hocherhabenen und Seinem Gesandten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken). Fast ein Jahr lang sprach ich einen wichtigen Teil meiner Gebete falsch aus, und als ich meinen Fehler entdeckte, war ich untröstlich. Wenn es mir ernst war, wenn ich wirklich eine Muslimin war, warum konnte ich dann nicht alles perfekt machen oder zumindest die Anstrengung aufbringen, einen derart törichten und entsetzlichen Fehler zu vermeiden?
Als ich schließlich mein Glaubensbekenntnis ablegte und damit begann, meine Freunde und Familienmitglieder darüber zu unterrichten, war die Reaktion einiger Nahestehenden harsch und entfremdend. Ich war verzweifelt. Wie könnte ich jemals meine Pflichten erfüllen und doch nicht alles verlieren? Meine Identität war in Aufruhr.
Der Wendepunkt kam, als ich vor einem israelischen Soldaten stand und meinen Pass bereithielt. Ich war stundenlang mit meiner Freundin durch das Westjordanland gereist, um das Heiligtum in Jerusalem zu besuchen und in der Aqsa-Moschee zu beten. Da Jerusalem unter militärischer Besatzung steht, muss man mehrere Kontrollpunkte passieren, um das Gebiet zu betreten. Es war eine lange und drückend heiße Reise, doch ich hatte nur wenig Anlass zur Beschwerde – meinen palästinensischen Freundinnen, die in Nablus und Ramallah lebten, war es seit Jahren nicht erlaubt, Jerusalem zu besuchen, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, dieses Privileg lediglich auf Grund meiner Nationalität zu besitzen. Allerdings sollte es letztlich doch nicht so einfach werden! Hier stand ich mit meiner Freundin Urmi – die ich erst am Tag zuvor kennen gelernt hatte – und wartete am letzten Kontrollpunkt in Sichtweite einer glänzenden Kuppel. Der Soldat blickte auf den Pass und danach mit amüsierter Skepsis in mein Gesicht. „Du bist Muslimin?“ fragte er.
„Ja, aller Lobpreis gebührt Allah!“, antwortete ich.
„War dein Vater ein Muslim?“
Ich antwortete verneinend. Er lachte, warf mir meinen Pass zurück und winkte mit einer abweisenden Geste mit der Hand. Ich war zuvor schon in Palästina gewesen und trat israelischen Soldaten in fast jeder stressigen Situation ruhig und mit Fassung entgegen. Eine Situation wie diese hatte ich jedoch noch nie erlebt. Ich war froh, dass ich eine Sonnenbrille trug, denn als er mich abwies und der Schlange ein Zeichen gab, weiterzugehen, liefen mir die Tränen von selbst herab. Ich war sprachlos. Ich verdeckte meinen Mund mit meiner Hand, um meinen Kummer zu verstecken und versuchte, nicht an Ort und Stelle zusammenzubrechen. Und Allâh erhört diejenigen, die beten.
„Warte, warte – du kannst das nicht tun!“, wandte meine Freundin Urmi wutentbrannt ein. Sie war in den Islam hineingeboren und wir kannten einander kaum, doch ihre Hand auf meinem Rücken und die feste Überzeugung in ihrer Stimme verhalfen mir dazu, stehenzubleiben. „Sie ist Muslimin!“
„Ihr Vater ist kein Muslim, deshalb ist sie keine Muslimin“, sagte der Soldat mit einem Lächeln.
„Was unterstehst du dich!“ schrie sie und legte ihren Arm um meine Schulter. „Wer hat dich dazu ermächtigt?“ Als sie ihre Stimme erhob, begann sich eine Menschenansammlung zu bilden. Muslime aus aller Welt waren gekommen, um das Heiligtum zu besuchen und in der Aqsa-Moschee zu beten. Sie waren alle von unterschiedlicher Herkunft und sprachen verschiedene Sprachen. Zu meiner Verwunderung und meinem Erstaunen, begannen sie mit dem Soldaten für meine Belange zu diskutieren.
„Siehst du nicht, wie traurig du sie machst?“, schalt ein südasiatischer Mann.
„Lass sie an meiner Stelle gehen!“, sagte ein anderer mit einem westafrikanischen Akzent.
„Du kannst nicht entscheiden, wer Muslim ist, und wer nicht!“, schrie eine Frau.
Jemand drückte mir ein Taschentuch in die Hand und ich wischte mein Gesicht ab. Der Soldat schaute nervös, da die Menschenmenge größer wurde. Er diskutierte lautstark mit allen, doch ein anderer Soldat dachte, es wäre weiser, einen Offiziellen vom „Waqf“ herbeizuholen – jordanische Beauftragte, die das Gebiet verwalten – um die Angelegenheit zu klären. Dieser Offizielle kam und fragte mit einer sehr freundlichen Stimme: „Wirst du das Glaubensbekenntnis ablegen?“ Ich nickte bejahend und sprach es schniefend aus. Er wandte sich an meine Freundin und bat sie dasselbe zu tun und sie sprach es ebenfalls vor ihm aus. Er gestikulierte, dass wir den Kontrollpunkt überqueren dürfen. Urmi zitterte vor Wut, doch ich hatte das Gefühl, dass eine Riesenlast von meinen Schultern gefallen war.
Ich werde niemals die unglaubliche Freundlichkeit vergessen, die an diesem Tag von meinen muslimischen Geschwistern ausging. Es ist nicht leicht, den Mut zu aufzubringen, für Gerechtigkeit einzustehen. Doch für diese aufrichtigen Fremden schien dies mühelos zu sein. Ich empfand, dass Allâh der Hocherhabene mir mit dieser Lektion unglaubliche Barmherzigkeit und Segen gewährt hatte. Ich hatte Angst, dass meine Vorgeschichte und mein Privileg mich nicht nur davon abhalten würden, von Allâh dem Hocherhabenen und Seiner Umma akzeptiert zu werden, sondern mich selbst ebenfalls davon abhalten würden, mich als Muslimin zu akzeptieren.
Jetzt weiß ich, dass es keine Rolle spielt, wer meine Eltern sind, welche Hautfarbe ich habe oder was in meinem Pass steht. So lange ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Allah gibt und dass Muhammad Sein Gesandter ist, bin ich Muslimin.
Dieser Zwischenfall brachte mich auf den Weg in Richtung Selbstannahme und dazu, meinen Platz im Islâm zu finden. Die Beziehung zwischen Urmi und mir wurde tiefer und zu einer Schwesternschaft und nach und nach fand ich immer mehr Unterstützung durch die Umma. Diese Unterstützung kam wie gerufen und half mir sehr dabei, mich als Muslimin zu entwickeln. Ich würde niemals sagen, dass meine Charaktermängel auf Grund meiner Konversion ausgebügelt sind, doch ich kann sie leichter als Quellen des Leides bestimmen und erkennen, dass der Islam die perfekten Mittel dafür bietet, mein Ego zu bekämpfen.
Ich fürchtete, perfekt sein zu müssen, um Muslimin zu werden. Jetzt weiß ich, dass der Versuch, diesen Kampf im Gleichgewicht zu halten, sich an der Wurzel der Ergebenheit gegenüber Allâh befindet. Solange ich Mühe aufbringe, sehe ich die Belohnungen dreifach in mein Leben hineinpurzeln. Manchmal benötige ich Weitsicht und Geduld, um die Gnadenerweise zu erkennen, da ich mich immer noch durch den Ramadân und meine fünf täglichen Gebete kämpfe, doch andererseits bin ich sehr dankbar dafür.
Ich dachte einst, dass der Islâm für mich bedeutet, Dinge zu verlieren – jetzt weiß ich jedoch, dass ich unzählige Gnaden im Diesseits und den Schlüssel zum Paradies im Jenseits gewonnen habe.