Das uralte Zentrum der Anbetung, das Haus Allâhs, also die Ka'ba, wurde vom Propheten Abraham und dessen Sohn Ismâ'îl gebaut. Als das Haus fertig war, offenbarte Allâh folgenden Vers: „Und rufe unter den Menschen zum Haddsch auf, dass sie zu dir kommen zu Fuß undmit jedwedem Transportmittel aus jedweder fernster Gegend!“ (Sûra 22:27).
Der Qurân-Vers zeigt, dass der Haddsch als Ritus seit der Antike bestand, bevor der Islâm erschien.
Als die Pilgerfahrt ausgerufen wurde, kamen die Leute aus jeder Gegend, nah und fern, zu Fuß und auf Kamelen. Seither wurde der Haddsch immer verrichtet. Die einzige Änderung, die an den Merkmalen des Haddsch nach dem Propheten Abraham vorgenommen wurde, scheinen das Entfernen der Götzen von der Ka'ba und von anderen wichtigen Orten des Haddsch gewesen zu sein.
Sogar in der Zeit der Unwissenheit und Ignoranz kamen die Menschen in den Tagen des Haddsch nach Makka und umschritten die Ka'ba (vollzogen den Tawâf). Der islâmische Haddsch begann nach der Einnahme Makkas im Jahr 8 und 9 nach der Hidschra. Der Haddsch ist die letzte der fünf Elementarpflichten des Islam.
Der Qurân legt ihn als wesentliche religiöse Pflicht eines Muslims fest und sagt: „Und der Menschen Pflicht gegenüber Allâh ist der Haddsch zum Hause, wer den Weg dorthin ermöglichen kann. Und wer ein Islâm-Leugner ist, so ist Allâh wahrhaftig der Welten unbedürftig!“ (Sûra 3:97).
In diesem Vers wird deutlich dargelegt: Auch wenn der Haddsch als verpflichtend erklärt wurde, gilt dies nur für diejenigen, die die Mittel und materiellen Ressourcen für dessen Durchführung besitzen. Im letzten Teil des Verses steht jedoch eine Warnung: Wenn Muslime, die Allâh mit den nötigen Mitteln zum Vollziehen der Pilgerfahrt gesegnet hat, es aus reiner Undankbarkeit trotzdem unterlassen diese Pflicht auszuführen, ist Allâh ihrer Pilgerfahrt unbedürftig.
Allâh wird durch ihr Nichtverrichten des Haddsch definitiv nichts verlieren. Der gesamte Verlust wird der ihre sein. Sie gehen Seiner Gunst verlustig. Man wird sehen, dass der Haddsch, wie die meisten anderen Pflichten, die einem Muslim auferlegt sind, sowohl individuelle als auch kollektive Bedeutung beinhaltet. Individuell, weil der Einzelne darauf hofft, durch das Verrichten dieser frommen Tat im Diesseits ein besserer Mensch zu werden und im Jenseits seine Aussichten auf Belohnungen zu steigern. Und kollektiv, weil die Pilgerfahrt den größten Kreis mit gemeinschaftlichem Mittelpunkt darstellt, um den der muslimische Ritus des rituellen Gebets errichtet ist.
Im Zentrum steht das tägliche persönliche rituelle Gebet im Stillen (für Männer in der Gemeinschaft in der Moschee), gefolgt vom Freitagsgebet in der Gemeinschaft in der jeweiligen Ortschaft des Einzelnen. Und dann gibt es das jährliche Festgebet, das alle Menschen einer Stadt einschließt. Der Höhepunkt, einmal im Leben, ist der Haddsch, bei dem ein Mensch mit Muslimen aus der ganzen Welt betet.
Die Pilgerfahrt erzeugt demnach eine höchst dramatisch sichtbare Veranschaulichung, wie der Glaube an den Einen Allah zu einer Vereinigung von Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt und aus verschiedenen ethnischen Gemeinschaften in die Verbundenheit einer Bruderschaft führt. Es gibt genau beschriebene Riten, die während der Pilgerfahrt eingehalten werden müssen (wie auch für die anderen Elementarpflichten des Glaubens wie das rituelle Gebet und das Fasten). Und diese Riten haben die wichtigen Funktionen, in der gewaltigen Menschenansammlung bei der Pilgerfahrt Ordnung und Disziplin zu gewährleisten und durch die einheitliche Vorgehensweise die Einheit, die die Pilgerfahrt symbolisiert, hervorzuheben.
Die rituellen Aspekte und die äußere Form der Pilgerfahrt sind zwar wichtig und gewiss wesentlich, allerdings werden sie zu nichts Weiterem als leere, bedeutungslose Hüllen, wenn sie kein lebendig gefühltes Verständnis vom Sinn der Pilgerfahrt beinhalten. Die Pilgerfahrt soll beispielsweise eine lebendige Überzeugung wahrer Bruderschaft einpflanzen und durch die für den Pilger vorgeschriebene Kleidung jegliche falschen Vorstellungen von Überlegenheit oder ungleichem Vorrecht zwischen Menschen, das auf unterschiedlichen sozialen Klassen, wirtschaftlichem Besitz, Rasse oder Abstammung basiert, aus dem Herz und dem Gedächtnis des Pilgers löschen.
Die Zahl der Menschen, die die Pilgerfahrt jedes Jahr verrichten, steigt ständig. Und dies ist ein ermutigendes Zeichen. Doch gleichzeitig zeigt die Realität, dass große Gebiete der muslimischen Welt berüchtigte Festungen ungerechter Vorrechte sind und dass Bruderkrieg und Blutvergießen zwischen muslimischen Gruppen in entsetzlichem Ausmaß stattfinden. Und dass in vielen Fällen die Befolgung dieser grundsätzlichen Pflicht eher ein leeres Ritual als eine Aufgabe ist, die mit Demut in Ehrfurcht gegenüber Allâh verrichtet wurde, um tatsächlich ein besserer Mensch zu werden.
Bei allem Respekt leiden leider viele durchschnittliche Muslime an der Täuschung, dass Tugend daraus besteht, alleine das Ritual (sei es rituelles Gebet oder Haddsch) zu verrichten, und daraus, dass er am Tag des Letzten Gerichts nur danach gefragt wird.
Jedoch zeigen ein direktes Lesen des ehrwürdigen Qurân und der entsprechenden Hadîthe deutlich, dass das Befolgen dieser Elementarpflichten des Glaubens den Praktizierenden zu einer dauerhaften Verbesserung seines gegenwärtigen Charakters führen muss. Und dass dies das Ausmaß ist, zu dem sein gegenwärtiger Charakter dem Charakter eines idealen Muslims ähneln soll, was bestimmen wird, ob er Allâhs Vergebung und Belohnungen im Jenseits verdient oder nicht.
Die islâmische Brüderlichkeit wird mehr und mehr eine lebendige Tatsache werden. Und bei dieser Aufgabe spielt die jährliche Pilgerfahrt eine wesentliche Rolle.