Es bedarf einer Religion – Teil 2

29/11/2021| IslamWeb

Allerdings existiert ein soziales Gefüge, das all diese Missstände als ausgesprochen unfair, ja sogar als bösartig entlarvt. Wie seltsam, dass wir Muslime zunehmend im Widerspruch zu diesem Gebilde stehen, wo es doch in den Worten des edlen uns anvertrauten Qurâns und in den Lehren des mutterlosen Gesandten Muhammad (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) lebt, denen wir alle zu folgen behaupten. In diesen Quellen werden immer noch die ursprünglichen Wahrzeichen des gottgegebenen abgeschiedenen Raums, des weiblichen Privilegs und der Fähigkeit des weiblichen Willens hochgehalten – entschlossen zu unbeugsamer Rechtschaffenheit, selbst im Angesicht der starken Stürme der angeblich humanistischen Lehre.

„Wir sind ein Geschöpf, das dazu geschaffen ist, in Gemeinschaft zu Funktionieren. Menschen sind ohne eine Gesellschaft nicht überlebensfähig, und eine Gesellschaft überlebt nicht ohne Familie“, schreibt Mahmoud Abu-Saud in seinem Essay „Geschlechterrollen: Eine muslimische Betrachtung“. Abu-Saud, ein muslimischer Wirtschaftswissenschaftler und islâmischer Gelehrter, der seinen Lebensabend in Amerika verbrachte und 1993 verstarb, vertrat die Ansicht, dass Gemeinschaft an und für sich eine ungenügende Voraussetzung für eine gesunde Rollendifferenzierung in der Familie sei. Innerhalb der Familie muss es immerwährende Modelle geben, die sich an höheren, etablierten moralischen Paradigmen orientieren. Mit anderen Worten: Eine Gemeinschaft, die psychisch ausgeglichene und gesunde Kinder aufzieht, muss notwendigerweise in einem Glauben verwurzelt sein, der unveränderliche Werte und Rollen festschreibt, wobei immerwährende Prinzipien der Mutterschaft und des Heims an der Spitze dieser Liste stehen. Im Gegensatz zum Bestseller der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton von 1996 braucht es also kein Dorf, um ein Kind großzuziehen. Es braucht eine Religion und Anhänger dieser Religion.

Aber je mehr wir uns in der Aushöhlung unserer eigenen religiösen Werte von Familie und Mutterschaft verfangen, desto schneller wird uns der Teppich unter unseren wackeligen Füßen weggezogen. Daraufhin stürzen wir und verwandeln uns in Wesen, auf welche die Beschreibung der Engel vor langer Zeit zutreffen könnte: „Willst Du auf ihr etwa jemanden einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt?“ (Sûra 2:30). Unsere Gesellschaft hat aufgehört, das Heim zu schützen. Die Rollen wurden vertauscht, die Mutterschaft zu einer lästigen Aufgabe degradiert und damit das Frausein entwertet. Denn was ist eine von Gott mit Kindern gesegnete Frau, die sich nicht an ihrer Mutterschaft erfreut und davon begeistert ist? Was geschieht mit Kindern, die in der Obhut einer Mutter aufwachsen, welche die Würde solch einer erhabenen Stellung kaum versteht?

Die Mutterschaft hat in der Tat eine erhabene Stellung. Anstatt zu sagen, die Mutter sei das pulsierende Herz des Familienlebens, beschreiben wir diese Rolle so wie sie ist: Die Mutter ist das funktionierende Bewusstsein im Haus; sie versteht die tiefsten Implikationen ihrer eigenen Handlungen unabhängig von ihren heftigen Emotionen. Sie sieht über die unmittelbare Angst ihres Kindes und sich selbst hinaus und denkt an eine bessere Zukunft, welcher der Schmerz schließlich weichen wird. Die im Qurân und in der Sîra (Lebensbiographie des Propheten) beschriebenen Mütter und die Mütter der großen Gelehrten im Laufe der Zeit haben ihre Liebe zum Schutz ihrer Kinder vor unmittelbarem Schaden eingesetzt und das übertroffen, was die Welt als bloßen mütterlichen Instinkt betrachtet, was nach ihrer Definition auch für Tiere gilt. Ausgehend vom eingeschränkten Blick auf das Sichtbare und mit einem unerschütterlichen Glauben an das Unsichtbare versucht eine wahre muslimische Mutter, die dieses Erbes würdig ist, das Beste für das unvermeidliche Leben nach dem Tod ihres Kindes und die Zukunft der Welt insgesamt zu sehen, die im gegenwärtigen Augenblick zwischen ihren beiden starken Händen liegt.

Der moderne Kult um die Frau

Die Auffassung von Mutterschaft im Islâm ist weit entfernt von dem, was uns die Moderne beschert hat. Die Jahre des stürmischen Wandels im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert stehen im Zeichen der Industriellen Revolution. Um es kurz zu machen: Als die menschliche Gier und der Verlust der Moral im Allgemeinen als produktive Unternehmen gewertet wurden, verließen die Familien die Gemeinschaft ebenso wie die häusliche Arbeitsstätte. Sie entwickelten sich in Richtung von Einheiten, die in sich abgeschlossen waren. Eine Auffassung von Privatsphäre, die schon an Besessenheit grenzte, öffnete die Türen zu dem, was wir heute als Vorstadt kennen, wo jedes Haus eine Welt für sich ist. Aber es gab Menschen, die in diesen einsamen Häusern eingesperrt waren – Frauen.

 

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