Eine von einer Rose erteilte Lehre

03/12/2018| IslamWeb

Rosen waren schon immer meine Lieblingsblumen. Es berührt mich immer wieder, wie perfekt sie sind – zwar nur einen Moment lang, doch in diesem und den darauf folgenden Momenten erteilten mir Rosen eine Lehre von unschätzbarem Wert. Ich meine damit keine Lehre in Botanik oder Gartenbaukunst.

Ich meine eine Lehre im Leben.

Was geschieht mit den perfekt gestalteten Blütenblättern der Rose, bereits Tage nachdem sie blüht? Was wird aus dem prächtigen Rot, das eine Rose atemberaubend schön macht? Die Blütenblätter verwelken. Das prächtige Rot wird braun. Und die Rose, die einst voller Schönheit und Leben war, verwandelt sich zu Trockenabfällen, die bei der leichtesten Berührung zerfallen. Und ganz gleich wie sehr wir uns bemühen, ganz gleich wie oft wir sie gießen oder pflegen, wir können eine Rose nicht vor dem Verwelken bewahren.

Dieser Prozess, der so tiefsinnig ist, wenn man darüber nachdenkt, geschieht nicht ohne einen Zweck. Allâh berichtet uns im Qurân genau, welche Lebenslehre wir aus einer Rose ziehen können. Er sagt:

„Wisst, dass das diesseitige Leben nur Spiel und Zerstreuung ist, Schmuck und gegenseitige Prahlerei und Wettstreit nach noch mehr Besitz und Kindern. Es ist wie das Gleichnis von Regen, dessen Pflanzenwuchs den Ungläubigen gefällt. Hierauf aber trocknet er aus, und da siehst du ihn gelb werden. Hierauf wird es zu zermalmtem Zeug. Im Jenseits aber gibt es strenge Strafe und (auch) Vergebung von Allâh und Wohlgefallen. Und das diesseitige Leben ist nur trügerischer Genuss.“ (Sûra 57:20).

Demnach ist das Verwelken dieser Rose als Zeichen für uns gedacht. Es ist dazu gedacht, uns eine der wichtigsten und dennoch schwierigsten Wirklichkeiten dieses Lebens zu verdeutlichen: Dass nichts währt. Alles wird vergehen – außer Allâh.

Wir sehen überall im Fernsehen schöne Filmstars. Sie begegnen uns auf Titelblättern von Zeitschriften. Wir machen ihre schönen Gesichter und perfekten Figuren zum Idol. Was geschieht jedoch nach 10, 20 oder 30 Jahren mit diesen schönen Gesichtern? Sie werden runzelig, sie erblassen, sie sterben. Was geschieht mit dem klügsten Menschen 50 Jahre, nachdem er eine bahnbrechende Entdeckung gemacht hat? 

Möglicherweise liegt er schweigend in einem Altersheim und versucht sich an seinen eigenen Namen zu erinnern.

Doch soll uns das Nachsinnen über diese Wirklichkeiten bedrücken und uns Achtlosigkeit aufzwingen? Nein! Diese Wirklichkeiten sind als Zeichen und Leitung für uns gedacht. Mit dem Verwelken der Rose und mit jedem fallenden Blütenblatt erinnert Allâh uns daran, dass alles vergeht. Er erinnert uns daran, dass nichts in dieser Welt währen wird außer Allâh. Diese Wirklichkeiten existieren nicht, um uns zu bedrücken, sondern um uns aufzuwecken und uns daran zu erinnern, dass unsere höchste Verbundenheit niemals zu diesen vergänglichen Dingen sein sollte. Allâh erinnert uns im Qurân an vielen Stellen an diese Wirklichkeit. Er sagt: „… Alles wird untergehen – außer Seinem Angesicht...“ (Sûra 28:88).

In einem weiteren Vers sagt Er:

„Alle, die auf ihr sind, werden vergehen; bleiben wird (nur) das Angesicht deines Herrn, Besitzer der Erhabenheit und Ehre.“ (Sûra 55:26-27).

Dies sind tiefgründige Aussagen, die uns zum eigentlichen Sinn des Lebens aufrütteln sollten. Außerdem gibt es eine Sûra im Qurân, die lediglich aus drei kurzen Versen besteht und die Tiefe dieser Wirklichkeit so schön zusammenfasst. Die Sûra Al-Asr (Sûra 103) beginnt damit, dass Allâh bei der Zeit schwört. Nach diesem Schwur verwendet Allâh die Partikeln „inna“ (wahrhaftig) und „la“ (gewiss), die beide eine besondere Betonung bewirken. Die Verwendung des Schwurs einher mit der doppelten Betonung zeigt insgesamt, wie bedeutsam folgende Aussage ist: „Der Mensch befindet sich wahrlich in Verlust.“ (Sûra 103:2).

Doch die Frage lautet: Was verliert der Mensch? Welcher Verlust? Alles! Verlust an Zeit, Verlust an Menschen und Dingen, die wir lieben, Verlust an Gesundheit, Verlust an Schönheit, Verlust an vergeblichem Trachten. Und wenn diese Dinge einmal verloren sind, dann sind sie für immer verloren – außer für eine auserwählte Gruppe von Menschen: „Außer denjenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun und einander die Wahrheit eindringlich empfehlen und einander die Standhaftigkeit eindringlich empfehlen.“ (Sûra 103:3).

Für sie ist nichts verloren.

Demnach können wir einzig durch unseren Glauben und unsere Taten etwas aus diesem verwelkenden Leben mitnehmen. Nur indem wir den falschen Abhängigkeiten entfliehen, unsere vergängliche Verbundenheit lassen und uns an Allâh halten, können wir mit Wasser von der Luftspiegelung der Ozeane zurückkehren. Einzig Allâh währt. Alles andere einschließlich unsereins befindet sich in einem ständigen und aktiven Zustand des Verlusts. Alles andere ist lediglich dieses verwelkende Blütenblatt, in das wir uns heute verlieben, das jedoch morgen zerfällt.

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