Zweifel an der Beweiskraft von Âhād-Hadīthen
15/03/2011| IslamWeb
Begriffserklärung: Âhâd ist der Gegenbegriff zu Mutawâtir. Als mutawâtir gelten Hadîthe, die in jeder Generation von so vielen Gelehrten überliefert sind, dass eine Einigung auf eine Lüge auszuschließen ist. Demnach sind Âhâd-Überlieferungen nicht nur Überlieferungen einzelner Personen, sondern auch kleinerer Gruppen, die jedoch nicht groß genug sind, um anhand der Zahl und des Aufenthaltsorts der Personen eine Einigung auszuschließen.
In einem früheren Artikel wurde bereits erwähnt, dass man jene, die die Sunna ablehnten, in zwei Gruppen einteilen kann: Jene, die aus ihrer Ablehnung kein Hehl machten und dazu aufriefen, die Sunna in ihrer Gesamtheit zu verwerfen, egal ob die Hadîthe âhâd oder mutawâtir sind. Sie meinten, diese Überlieferungen seien unbedeutend und der Qurân habe die Sunna nicht nötig. Sie suchten Zweifel an einigen Gruppen von Überlieferungen zu wecken und nachdem das nicht gelungen war, diese in ihrer Gesamtheit anzufechten. Einige Hadîthe erkannten sie an, andere lehnten sie ab. So auch jene Berichte, die âhâd sind, mit der Behauptung, diese seien zweifelhaft. Sie lehnten diese selbst und jegliche Argumentation in Verbindung mit diesen Hadîthen ab.
Die Mu`tazila gehörte zu den Ersten, die die Sunna in âhâd und mutawâtir einteilten, um die Offenbarungstexte zu manipulieren und nach eigenem Gutdünken ablehnen zu können. Sie lehnten viele authentische und absolut sicher überlieferte Hadîthe ab, die ihren neu erfundenen Regeln über den Islâm widersprachen, sie schlossen somit alle Wege zur Erkenntnis Allâhs, Seiner Namen und Eigenschaften. Stattdessen tischten sie den Menschen schwache Argumente auf und ersannen Prämissen, die sie selbst als Verstandesschärfe und eindeutige Beweise bezeichneten, die sie den Offenbarungstexten vorzogen und sogar die Offenbarungstexte nach diesen Theorien beurteilten.
Die Gelehrten des Islam nahmen zu jenen Behauptungen, dass die Âhâd-Überlieferungen ungültig seien, Stellung, widerlegten die Scheinargumente diesbezüglich durch klare Beweise, die keinerlei Zweifel darüber aufkommen lassen, dass es zulässig ist, jenen Hadîthen (âhâd) zu folgen und sie zur Argumentation heranzuziehen. Der Imâm As-Schâfi´î gehörte zu den ersten dieser Gelehrten. Er widmete jenem Thema ein umfangreiches Kapitel seines Werkes Ar-Risâla mit dem Titel Al-Huddscha fî Tathbît Chabar Al-Wâhid und argumentierte diesbezüglich am vorzüglichsten, sodass sich all jene, die sich nach ihm dieses Themas annahmen, auf ihn bezogen.
Die Kritiker indessen bezogen sich auf einige haltlose Scheinargumente, mit denen sie ihre Ablehnung der Âhâd-Überlieferung zu begründen suchten.
Dazu gehört unter Anderem die authentische Überlieferung des Dhû Al-Yadain, der berichtete, dass der Prophet einst bei einem Nachtgebet nach zwei Niederwerfungen das Gebet beendete. Dhû Al-Yadain fragte ihn: „Hast du das Gebet verkürzt oder warst du vergesslich?“ Der Prophet schenkte seinem Hinweis erst Glauben, als auch Abû Bakr, ´Umar und andere vertrauenswürdige Personen dasselbe bestätigten. Er vervollständigte daraufhin sein Gebet und verrichtete dann die Niederwerfung des Vergessens. Wäre der Hinweis eines Einzigen Beweis genug, so die Kritiker, hätte der Prophet ohne weiteres Zögern und ohne Fragen sein Gebet vervollständigt.
Weiterhin meinen sie, dass selbst von einigen Gefährten überliefert sei, dass sie das Festhalten an Berichten, die nur von einem Einzelnen überliefert wurden, ablehnten. So verweisen sie darauf, dass Abû Bakr den Bericht von Al-Mughîra ibn Schu´ba bezüglich des Erbteils der Großmutter ablehnte, bis auch Muhammad ibn Maslama das Gleiche berichtete. Ebenso stehe fest, dass ´Umar den Bericht Abû Mûsâs bezüglich der Bitte um Erlaubnis ablehnte, bis auch Abû Sa´îd gleiches berichtete. ´Alî folgte keinem Bericht, bevor Abû Bakr ihm folgte. ´Âischa lehnte den Bericht Ibn ´Umars über die Peinigung der Verstorbenen durch die Tränen ihrer Angehörigen ab und so weiter.
All diese von ihnen vorgebrachten Beispiele sind in Wirklichkeit keinerlei Beweis dafür, dass Überlieferungen Einzelner nicht zur Argumentation herangezogen werden können.
Als der Prophet nach dem Hinweis Dhû Al-Yadains zögerte, geschah dies, weil er meinte, dieser habe sich geirrt, weil er es für unwahrscheinlich hielt, dass sonst niemand der Anwesenden das Gleiche beobachtet habe, darum sagte der Prophet zu ihm, er habe weder vergessen noch das Gebet verkürzt und davon war er auch überzeugt. Niemand akzeptiert einen Hinweis, wenn er davon überzeugt ist, dass dieser falsch ist. Als aber auch andere Anwesende das Gleiche bestätigten, wurde klar, dass der Hinweis zutreffend war. So nahm der Prophet diesen an und handelte danach. Mit anderen Worten, Dhû Al-Yadain war sich ebenso gewiss, wie der Prophet sich gewiss war, und es war nicht möglich, einem von ihnen den Vorrang zu geben, bis auch die Gefährten die Aussage Dhû Al-Yadains bestätigten.
Was die Meinung betrifft, zahlreiche der Gefährten selbst hätten Berichte Einzelner für unerheblich angesehen, so ist es eine völlig eindeutige Tatsache, dass die Gefährten darin einig waren, dass den Hadîthen über den Propheten zu folgen ist, seien es nun Berichte Einzelner oder nicht. Wenn nun hinsichtlich einiger Berichte überliefert wurde, sie hätten gezögert, so ist das kein Beweis dafür, dass sie Berichte Einzelner für unerheblich angesehen hätten; der Grund lag vielmehr woanders, so etwa in der Meinung, es könnte sich um eine bloße Vermutung handeln oder im Bemühen, sich vorsorglich zu vergewissern und ähnliche Gründe.
Abû Bakrs Zurückweisung des Berichts von Mughîra über den Erbanteil der Großmutter hatte seinen Grund nicht darin, dass dieser Bericht nur von einer einzelnen Person übermittelt wurde, sondern er zögerte, bis ihm die genaue Regelung diesbezüglich bekannt wurde, dass nämlich die Großmutter ein Sechstel erhält. Er zögerte vor allem auch deswegen, weil es zu dieser Angelegenheit im Qurân keine Bestimmung gab, und somit dieser Bericht durch genauere Kriterien zu bestätigen war, um ihm zweifellos zu folgen. Als Muhammad ibn Maslama bezeugte, dass er diese Überlieferung vom Propheten gehört hatte, lehnte Abû Bakr es nicht ab, dem Bericht Mughîras zu folgen. Die Bestätigung Muhammad ibn Maslamas aber ändert nichts daran, dass der Bericht als âhâd angesehen wird (zwei Personen können sich ja auch auf etwas einigen) und von Abû Bakr akzeptiert worden war.
´Umar wies den Bericht von Abû Mûsâ Al-Asch´arî bezüglich der Bitte um Erlaubnis zurück, als Abû Mûsâ den Hadîth erwähnte, nachdem ihn Umar kritisiert hatte, weil Abû Mûsâ nicht auf ihn gewartet hatte. ´Umar suchte nach einer Bestätigung dieses Berichtes, um Zweifeln vorzubeugen. Er entgegnete ja Abû Mûsâ: „Ich beschuldige dich bestimmt nicht, doch sind dies Worte über den Gesandten Allâhs .“ Was hinsichtlich Abû Bakrs gesagt wurde, kann auch hier gesagt werden. Der Bericht Abû Mûsâs stammte von einem Einzelnen, bis Abû Sa´îd sich ihm anschloss, aber auch die Aussage zweier Personen gilt als âhâd. ´Umar aber wollte deutlich machen, dass es wichtig ist, vorsorglich nach einer Bestätigung zu suchen.
´Umar folgte auch anderen Hadîthen, die von Einzelnen überliefert wurden. So berichtete Abû Dâwûd über ´Umar ibn Al-Chattâb, dass dieser sagte: „Das Blutgeld ist für die Sippe und die Frau erbt nichts vom Blutgeld ihres Mannes.“ Bis Ad-Dahhâk ibn Sufyân ihm davon berichtete, dass der Prophet ihm einen Brief schickte, dass ich der Frau des Aschyam Ad-Dabâbî einen Teil des Blutgelds ihres Mannes ihr als Erbe bestimmen solle. Da folgte ´Umar diesem Hadîth, den er nur von Ad-Dahhâk hörte.
Ebenso akzeptierte er die Überlieferung von Abdurrahmân ibn ´Auf über die Pest sowie andere Hadîthe, was zeigt, dass er einen Bericht nicht deswegen ablehnte, weil dieser nur von Wenigen überliefert wurde.
Die Gefährten lehnten die Befolgung von Âhâd-Überlieferungen und die Argumentation auf Grundlage dieser Überlieferungen nicht ab, vielmehr waren sie sich darin einig (Idschmâ´), dass diese akzeptiert werden müssen. Wenn einige der Gefährten manchmal aus bestimmten Gründen bei der Akzeptanz mancher Überlieferungen zögerten, so nicht deshalb, weil sie der Überlieferung nicht nachkommen wollten, sondern, wie Al-Âmidî sagt: „Sie lehnten bestimmte Überlieferungen ab oder zögerten aus bestimmten Gründen, wie etwa das Vorhandensein einer anderen Überlieferung oder die Nichteinhaltung einer Voraussetzung (d.h. weil die Überlieferung augenscheinlich einer Regel widersprach). Aber sie zögerten nicht, weil sie diese Art der Überlieferung selbst ablehnten, weil sie sich ja einig waren, dass man diese Überlieferungen (authentisch überlieferte Âhâd-Hadîthe im Allgemeinen) befolgen muss.“