Der Monotheismus aus Sicht des Islām
13/11/2016| IslamWeb
Gegenüber einem deutschsprachigen Publikum wird der Islâm als monotheistische Religion beschrieben, die den Spuren des Judentums und des Christentums folgt. Dabei ergänzen wir oft in bester Absicht: „Der Unterschied ist, dass wir an einen einzigen Allâh glauben.“
Jedoch befürchte ich, dass dies nicht ausreichend die Essenz des Tauhîd, des Monotheismus aus der Sicht des Islâm erfasst. Dieser beschränkt sich nicht auf die Aussage, es gebe einen einzigen Gott und das war es. Wenn dies der Fall wäre, gäbe es kaum einen Unterschied zwischen uns, den Christen und den Juden, die ja auch konzeptuell an einen Gott glauben (trotz unterschiedlicher theologischer Formulierungen). Uns unterscheidet jedoch, dass wir an einen Gott glauben, und überdies bezeugen, dass nur Allâh angebetet werden darf.
Der Kern des Islâm ist von der Botschaft „Lâ ilâha illa Allâh“ umhüllt: Es gibt nichts Verehrungswürdiges außer Allâh. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass wir uns nicht nur von Götzen aus Holz und Stein abwenden, sondern auch von Götzen der Ideologie. Heutzutage betet die Menschheit, angespornt von der westlichen Kultur, viele Dinge an. Überdies vergöttert sie sich selbst.
Säkularismus ist die Ideologie der westlichen Länder (und gar einiger muslimischer Länder). Der Grund, warum er so gut funktioniert, ist, dass er der fortgeschrittenste und letzte Weg ist, die Menschen von Allâh abzuwenden und zu täuschen. Statt wieder einmal dazu anzuregen, irgendwelche Statuen und Götzen anzubeten, besteht der neue Schirk (die Vielgötterei) darin, die Menschen zur eigenen Anbetung einzuladen. Jeder ist quasi ein Gott!
Der amerikanische Traum wurde das Konstrukt einer Gesellschaft, in der jedermann sein eigener Gott ist und tut, was er will, unabhängig von den Folgen. Dies hört sich natürlich sehr attraktiv an. Mach, was du willst und was du fühlst, du liegst damit immer richtig! Jedermann ist sein eigener Richter!
Hierbei mangelt es leider an der Erkenntnis, dass die Menschen von Natur aus schwache Wesen sind. Trotz aller Verkündungen, eine freie und individualistische Gesellschaft zu sein, ist Amerika konformistischer als alle anderen Gesellschaften dieser Welt. Ein junger Mann ohne einen perfekten Körper ist ein Ausgestoßener. Ein junger Mann, der nicht feiern kann oder nicht genug „Frauen“ abbekommt, ist kein richtiger Mann; und dies ist das interessanteste Beispiel von allen.
Westliche Gesellschaften predigen, dass jeder ein Gott ist und somit keine Notwendigkeit besteht, sich selbst zu erziehen. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, die aus schwachen, egoistischen und engstirnigen Menschen besteht (dies wird anhand von hohen Selbstmordraten, grausamen Verbrechen, Depressionen und steigenden Scheidungsraten belegt).
Allâh sagt im Qurân: „Und Ich habe die Dschinn und die Menschen nur (dazu) erschaffen, damit sie Mir dienen.“ (Sûra 51:56)
Der Anbetungstrieb ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis. Ein Versuch, die Anbetung in all ihren Formen zu zerstören, war der Kommunismus – und genau dieser Kommunismus scheiterte, wie die Geschichte belegt, und versagt weiterhin elendig. Durch die Entwicklung der westlichen Denkweise und Gesellschaft wurde der natürliche Trieb der Anbetung Allâhs zur Anbetung des Individuums umgelenkt.
Jedoch brauchen die Menschen nicht lange, um zu begreifen, dass wir als Individuen armselige Götzen abgeben. Bereits im jungen Alter begreifen wir, dass wir fehlbar und oft in sehr vielen Dingen, die wir gerne machen würden, erfolglos sind. Wie viele Kinder würden gerne professionell Sport treiben, sind aber hierzu niemals fähig?
Stattdessen fangen die Menschen an, Ideen und Ideologien zu verehren. Sie messen diesen Ideen Macht bei. Sie glauben, Regierungen hätten Allmacht und weisen Flaggen, Ethnien, Stämmen oder Sprachen mystische Kräfte zu.
In Europa herrscht der verbreitete Glaube, dass jede sprachlich unterschiedliche Gruppe ein Land verdient, da eine sprachliche Gruppe ein unsterbliches Dasein führe, in der zwar viele gekommen und gegangen sind, aber der Ursprung immer gleich geblieben sei.
Wir als Muslime jedoch verneinen all dies, weil wir wissen, dass es sich dabei ausschließlich um Schirk handelt; eine Beigesellung von Partnern für Allâh, eine unverzeihliche Sünde. Warum ist sie unverzeihlich? Die Essenz des Islâm besteht nicht nur aus dem Glauben an Allâh, wie wir bereits erwähnten, sondern vor allem auch darin, dass wir Ihm dienen und Ihn zum Mittelpunkt all unserer Anstrengungen machen. Setzen wir etwas zwischen Allâh und uns, so verderben wir die Reinheit unseres schönen Glaubens.
Als der Prophet zu den Arabern des damaligen Makka als Prophet mit einer direkten Botschaft von Allâh berufen wurde, waren die Makkaner keine Atheisten. Sie glaubten an Allâh; sie glaubten, dass Er der mächtigste Gott war und man Ihn – interessanterweise – nicht als physisch fassbaren Götzen darstellen konnte. Jedoch glaubten sie, dass viele Götzen (mehr als dreihundert kleinere Götter) in ihrem Namen Fürsprache einlegen würden. Mit anderen Worten glaubten die Götzendiener, dass es Verbindungen zwischen Allâh und dem Individuum gäbe und dass diese Mittler angebetet werden müssten.
Die moderne westliche Gesellschaft ist nicht anders. Mit jedem Schritt rufen die amerikanischen Politiker Gottes Namen an. Wie oft hörten wir den Präsidenten Bush sagen: „Gott segne Amerika.“ Nimm irgendeine US-Geldnote aus deiner Geldbörse und siehe, was mit herausragenden Buchstaben auf ihr vermerkt wurde: die amerikanische Devise: „Wir setzen unser Vertrauen auf Gott (In God We Trust).“ Somit lehnt die amerikanische Gesellschaft zumindest theoretisch Gott nicht ab. Vielmehr glauben die Amerikaner an Gott und behaupten, Ihn als höchstes Wesen anzuerkennen. Jedoch nimmt die amerikanische Gesellschaft andere Menschen zu Göttern und Vermittlern, und zwar in solch einem Ausmaß, dass gar Gott selbst insgesamt ignoriert wird!
Dies ist auch der Plan Amerikas für die muslimische Welt (überall in der Welt, von Amerika bis nach Afghanistan). Sie wollen uns lehren, dass sie keinen Konflikt mit Allâh haben, sondern uns nur die Demokratie geben wollen, damit wir uns „modernisieren und fortschrittlich“ werden.
Wählen wir diesen zum Misserfolg verdammten Weg, werden wir zu unserem Entsetzen feststellen, dass Allâh im Grunde nicht verleugnet wird. Vielmehr - Erhaben ist Er über derartige Vergleiche - wird Er so weit zurückgewiesen, dass die Menschen wie Atheisten werden, die ihren Atheismus verneinen. Möge Allâh uns vor diesem Schicksal bewahren. Ich entschuldige mich für die Schroffheit meiner Voraussage, aber wir wissen, dass, wenn die Tür zur kleinsten Abweichung geöffnet wird, diese Abweichung wie eine Lawine anwachsen wird. Auf diese Weise wurden ganze Religionsgemeinschaften vor uns zerstört. Wie oft fordert Allâh von uns, dass wir über das Vergangene nachsinnen sollen? Die Wahl ist, wie immer, unsere eigene!