Was die folgende Aussage angeht: „Die Meinungsverschiedenheit der Gelehrten ist eine Barmherzigkeit Allâhs für diese Umma. Jeder folgt dem, was er für richtig hält, und alle sind auf dem rechten Weg und alle wollen Allâhs Wohlgefallen – erhaben ist Er“, so trifft sie am ehesten auf die Durchführung der Haddsch-Riten zu. Denn in der Durchführung der Riten zeigt sich der Nutzen der Meinungsverschiedenheit der Imâme und die erhoffte Frucht davon wird sichtbar.
In diesem Zusammenhang steht auch die Aussage von Umar ibn Abdulazîz (Allâh erbarme sich seiner): „Ich würde mich nicht darüber freuen, wenn die Meinungsverschiedenheiten verschwinden würden und ich im Ausgleich dafür rote Kamele erhielte.“ Er bezog sich dabei auf die Meinungsverschiedenheit der Gefährten (möge Allâh mit ihnen zufrieden sein). Al-Qâsim ibn Muhammad sagte: „Mir gefällt die Aussage von Umar ibn Abdulazîz (Allâh erbarme sich seiner): ‚Es wäre mir nicht lieb, wenn die Gefährten des Gesandten Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) keine Meinungsverschiedenheiten gehabt hätten. Eine einzige Meinung engt die Menschen ein. Die Gefährten sind Imâme mit Vorbildcharakter. Wer einem von ihnen folgt, fühlt sich befreiter.‘“ Al-Qâsim sagte auch: „Allâh hat durch die Meinungsverschiedenheit der Gefährten des Propheten (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) in ihren Handlungen einen Nutzen geschaffen. Wer die Handlungsweise eines von ihnen befolgt, wird sehen, dass sie ihm mehr Handlungsspielraum gibt und dass dies besser ist als das, was er zuvor getan hat.“ Und er sagte auch: „Welcher (Meinung) du auch folgst, du wirst in deinem Inneren nichts dagegen haben.“ Ähnliches wurde von einer Gruppe von Gelehrten gesagt.
Es sei darauf hingewiesen, dass es den Anhängern aller vier Rechtsschulen erlaubt ist, in bestimmten Fällen zur Lösung von Problemen der Rechtsschule (Madhhab) eines anderen zu folgen. Ibn Âbidîn weist in seiner „Hâschiya“ an mehreren Stellen darauf hin, dass es „in schwierigen Fällen ratsam ist, eine Fatwâ zu erhalten ...“, d. h. in schwierigen Fällen eine Fatwâ von der Rechtsschule zu erhalten, für die Menschen einfacher und angenehmer ist. Obwohl die Gelehrten die Vermischung der Praktiken verschiedener Rechtsschulen (Talfîq) missbilligen und es verbieten, den Erleichterungen (Ruchsas) jeder einzelnen Rechtsschule uneingeschränkt zu folgen, erlauben sie demjenigen, der einer bestimmten Rechtsschule folgt, die Meinung einer anderen Rechtsschule zu übernehmen, wenn dies eine Lösung für ein Problem oder einen Ausweg aus einer schwierigen Situation darstellt. Dies sollte jedoch nicht aus dem Wunsch heraus geschehen, nur dem zu folgen, was einfacher und bequemer ist.
Die Gelehrten haben hier eine wichtige Vorgehensweise festgelegt: „Der Muftî mit dem höchsten Rang ist derjenige, der die Menschen zu einem allgemein anerkannten Mittelweg führt, der für die Mehrheit angemessen ist. Er führt sie weder zur Strenge noch zur Laxheit.“ Sinn und Inhalt dieser Aussage ist, dass es eine Abweichung vom Prinzip der Mäßigung und Ausgewogenheit darstellt, wenn bei der Erteilung von Fatwâs an die Menschen in neu aufkommenden Fragen entweder in Richtung Strenge oder in Richtung Laxheit gegangen wird. Dies ist ein Verstoß gegen das, was die Scharîa anstrebt und worauf sie Wert legt. Jede Abweichung vom Weg der Mäßigung führt von der Gerechtigkeit ab. Man verliert den Weg der Mitte und das Gleichgewicht, was von der Scharîa Allâhs nicht gebilligt wird. Denn dieser Weg führt zu Strenge und Zügellosigkeit. Auf diese Weise verabscheuen die Menschen die Religion Allâhs und wenden sich von ihr ab.
Die Ausführungen über die allgemeine Ruchsa und die besondere Ruchsa beim Haddsch schließen wir mit einem Hadîth von Abû Nu‘aim ab. Mudschâhid sagte: „Ich sprach zu Ibn Umar (möge Allâh mit beiden zufrieden sein): ‚Welche Art der Pilgerfahrt zum Hause Allâhs ist die beste und hat den größten Lohn?‘ Er antwortete: „Jene, die drei Eigenschaften in sich vereint: aufrichtige Absicht, ausgeprägte Intelligenz und Ausgaben mit erlaubten Mitteln.‘“ Mudschâhid sagte: „Ich erwähnte dies gegenüber Ibn Abbâs (möge Allâh mit beiden zufrieden sein), und er sagte: ‚Er hat die Wahrheit gesagt.‘ Daraufhin fragte ich ihn: ‚Wenn seine Absicht aufrichtig ist und seine Ausgaben aus erlaubten Mitteln stammen, was schadet es ihm dann, dass er wenig Verstand hat?‘ Er sagte: ‚O Abû Al-Haddschâdsch! Du hast mich nach etwas gefragt, was ich den Gesandten Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) gefragt habe. Er antwortete: »Bei dem, in dessen Hand meine Seele ist, der Diener gehorcht seinem Herrn dem Erhabenen mit nichts besser als mit gutem Verstand. Und Allâh der Erhabene akzeptiert weder das Fasten eines Dieners noch sein Gebet noch seinen Haddsch noch seine Umra noch seine Spende noch irgendeine der rechtschaffenen Taten, wenn er nicht mit Verstand handelt. Und wenn ein Unwissender diejenigen, die sich in gottesdienstlichen Handlungen bemühen, übertrifft, wird er mehr Schaden anrichten als Gutes tun.«‘“