Ibn Taimiyas tiefe Erkenntnis und tiefes Verständnis sind der Grund dafür, dass der Islâm ihn davon befreite, sich über irgendein Unheil oder Hemmnis zu beschweren, und es ihm ermöglichte, seine Fassung und Freude nicht zu verlieren. Er betrachtete das Gefängnis außerdem als Segen, der es ihm ermöglichte, sich unbeschwert und frei von den Ablenkungen des Lebens mit der Anbetung Allâhs zu beschäftigen. Wenn andere ebenfalls ein derartiges Verständnis vom Leben hätten, dann könnten sie unmöglich zerrüttet oder gedemütigt sein. Demnach kann körperliche Einengung niemanden wirklich einengen, solange das Herz und der Verstand frei sind.
Ein Blick auf die Beschäftigungen Ibn Taimiyas während seiner Gefangenschaft zeigt, dass er seinen Gedanken Taten folgen ließ. Während er im Jahre 709 (n. H.) in Alexandria eingesperrt war, begegnete er verschiedenen philosophischen Denkern. Obwohl er zuvor bereits von den Mängeln der Philosophen überzeugt war, entschloss er sich während seiner Gefangenschaft dazu, eine Widerlegung der Logik zu schreiben, die nach seinem Verständnis die höchste Quelle der metaphysischen Lehren war, für die die Philosophen eintraten. Zahlreiche Gelehrte bemerkten, dass das Werk Widerlegung der Logiker, das er erstellt hatte, einer der vernichtendsten Angriffe war, der gegen die von den alten Griechen und deren Anhängern vertretene Logik unternommen wurde. Jede weitere Lehre, die von seiner Widerlegung abgeleitet wurde, ist auf Allâhs Weisheit zurückzuführen, Ibn Taimiya in genau diesem Gefängnis zu diesem Zeitpunkt verweilen zu lassen. Einzig durch den Willen Allâhs begegnete Ibn Taimiya während seiner Gefangenschaft Menschen mit mangelbehafteten philosophischen Vorstellungen, die ihn dazu brachten, eines seiner großartigsten Werke zu erstellen.
Offenbar erkannte Ibn Taimiya stets diesen Segen, denn er schrieb seiner Mutter in einem Brief aus dem Gefängnis in Ägypten Folgendes: „Es war nicht unsere Wahl, weit entfernt von dir zu sein. Wären die Vögel in der Lage uns zu tragen, wären wir zu dir gekommen. Doch Der nicht Erscheinende (Allâh) hat Seinen Grund. Und wärest du fähig, tief in die Angelegenheiten der Muslime zu blicken, hättest du keinen anderen Ort für mich gewählt, als den, an dem ich mich momentan befinde.“ Dies war das Verständnis der Akzeptanz der Bestimmung Allâhs und des Optimismus im Islâm, die Ibn Taimiya besaß. Dies erlaubte ihm letztendlich, nützlich für die Umma und erhaben in seinem Charakter zu sein.
Ein weiterer Gedanke für die Produktivität eines eingesperrten Menschen ist die Erkenntnis, dass nach dem Tod jeder für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird und einen endgültigen ewigen Bestimmungsort zugewiesen bekommt. Wenn man wirklich glaubt, dass man belohnt wird und einem das Paradies gewährt wird, wenn man die Grenzen einhält, die von Allâh festgesetzt wurden, dann wird man willens sein, in diesem vorübergehenden Leben alles zu tun, um dieses Ziel zu erlangen, selbst wenn dies bedeuten würde, eine Zeitlang im Gefängnis zu verbringen. Der Prophet Josef (Friede sei mit ihm) veranschaulichte dieses Vertrauen in Allâh, als er sagte:
„… Mein Herr, das Gefängnis ist mir lieber als das, wozu sie mich auffordern. Und wenn Du ihre List von mir nicht abwendest, werde ich mich zu ihnen hingezogen fühlen und zu den Toren gehören.” (Sûra 12:33).
Hier bezieht sich Yûsuf auf seine Weigerung, eine verbotene Beziehung mit der Frau seines Herrn zu führen, als sie versuchte ihn zu verführen. In seinem Herzen war er wirklich überzeugt davon, dass das Gefängnis besser für ihn sei als den üblen Anordnungen der Frau des Königs zu erliegen. Nur ein gottesfürchtiger Mensch, der sich der Belohnungen bewusst ist, die Allâh für das Jenseits vorbereitet hat, kann bereit sein ein derartiges Opfer zu bringen und zufrieden damit zu sein.
Ibn Taimiya geriet im Jahre 705 nach der Hidschra in eine ähnliche Situation, als er wegen seiner religiösen Glaubensvorstellungen beschuldigt und anschließend ins Gefängnis gesperrt wurde. Nach einem Jahr im Gefängnis wurde ihm mit viel Druck von außen angeboten, freigelassen zu werden, wenn er sich von seinen Glaubensvorstellungen distanziere. Dieses Angebot wurde ihm mindestens sechs Mal gemacht, doch er lehnte es jedes Mal ab und sagte: „Das Gefängnis ist mir lieber als das, was zu erklären sie mich auffordern.“ Ein weiteres Mal demonstrierte Ibn Taimiya seinen tiefverwurzelten Glauben im Islâm, da er wusste, dass Allâh ihn dafür belohnen wird, wenn er an seinem Glauben festhält, auch wenn dies bedeuten würde, eine Zeit lang ohne diesseitige Freiheit zu leben. Mit diesem klaren Weitblick und dieser Aufrichtigkeit wurde Ibn Taimiya zu einem der freiesten Männer der Welt, trotz seiner vielen Jahre und seines späteren Todes im Gefängnis im Jahre 728 nach der Hidschra (1328 nach Christus).
Ibn Taimiyas Erlebnisse zeigen, dass Barrieren – selbst Gefängnismauern – überwunden werden können, wenn man sein volles Vertrauen in Allâh legt. Obwohl Ibn Taimiya vor über 800 Jahren lebte, sind seine Erfahrungen heute immer noch anwendbar. Der Glaube an Allâh überschreitet die Zeit. Sogar in den letzten 100 Jahren bewiesen inhaftierte islamische Persönlichkeiten die Allgemeingültigkeit des Islâm als Lösung für alle Menschen bis zum Ende der Zeit. Das Leben dieser Individuen und unzähliger anderer Menschen beinhaltet wertvolle Lehren. Sie zeigen, dass der Islâm die Menschen dazu leitet, Allâh anzubeten und sich von ihren körperlichen Gelüsten und Leidenschaften zu befreien. Einzig durch einen derartigen, von Allâh offenbarten Lebensstil – der überall auf der Welt bekundet wird – kann sich wahre Befreiung manifestieren.