Jedes Jahr reisen Millionen von Menschen aus aller Welt zu Wasser, zu Lande und in der Luft nach Makka, um den vorgeschriebenen Haddsch zu verrichten. Wir kennen Freunde und Familienangehörige, die den Haddsch unternehmen, und wir stellen sicher, dass wir ihnen in der Moschee alles Gute wünschen oder sie sogar am Flughafen verabschieden. Manchmal machen wir bei einem Freund, der plant nach Makka zu reisen besondere Hausbesuche bevor er abreist. Wir bitten ihn, dass er uns unsere Schlechtigkeiten verzeiht, und wir sprechen ihn von jeglichen Schlechtigkeiten frei. Wir wünschen unseren Freunden Gesundheit und einen erfolgreichen Haddsch, indem wir Bittgebete sprechen, dass ihre Bittgebete erhört werden.
Wir wenden uns ferner mit unseren Bitten an die Pilger. „Bitte sprich Du’â (Bittgebete) für meinen Sohn, dass er eine gute Frau findet!“, - „Vergiss bitte nicht Du’â für meine Tochter zu sprechen, dass sie ihre Prüfung in Medizin besteht!“ Der Bitten gibt es ja so viele! Wenn jedoch dieser letzte Augenblick kommt, gibt es einen Unterschied zwischen jenen, die gehen, und jenen, die zurückbleiben.
Der Unterschied ist, dass jene, die die Haddsch-Reise antreten, ihre Hürden schon überwunden haben, während diejenigen, die sie noch ein weiteres Jahr aufschieben müssen, ihre Hürden noch zu überspringen haben.
Nicht genug Geld
Der Hauptgrund, warum die Muslime nicht den Haddsch unternehmen können, liegt darin, dass sie es sich nicht leisten können.
Finanziell gesehen entspricht eine Haddsch-Reise einem exotischen Urlaub. Viele Pilger buchen eine Reise über eine Reiseagentur, die auf Haddsch-Reisen spezialisiert ist. Die Angebote beinhalten normalerweise Flugtickets, Hotelunterkünfte, Verpflegung und alle Busbeförderungen in und um Makka herum. Addiert man hierzu die Zahl der mitreisenden Familienmitglieder, so hat man den Preis deutlich vervielfacht. Einige potentielle Pilger bevorzugen es, dass die gesamte Familie zusammen oder gar nicht reist. Für viele ist eine Kinderbetreuung keine Alternative für eine zweiwöchige Reise. Deshalb muss die gesamte Familie zusammen reisen oder warten, bis dies möglich ist. Weiterhin haben viele junge Erwachsene ältere Eltern, die gerne den Haddsch durchführen würden und nicht allein reisen können. Daher wird die Haddsch-Reise umso teurer je mehr Familienmitglieder es gibt.
Auch wenn die meisten es nicht zugeben wollen, finden bei einer Haddsch-Reise viele Einkäufe statt. Männer und Frauen tätigen besondere Einkäufe während dieses „einmaligen“ Erlebnisses. Ebenso sehr wie die Menschen es bei irgendeinem anderen Urlaub täten, suchen sie nach Andenken für all die Freunde und Familienangehörigen, die zurückgeblieben sind. Bevor man sich versieht, ist der Koffer voll mit Mini-Gebetsteppichen für die Kinder und kleinen Ka’ba-Nachbildungen, mit einer ganzen Anzahl von Büchern und Pfunden saudischer Datteln für alle zu Hause. Eine Haddsch-Reise kann eine vierköpfige Familie sehr schnell über 7.000 Euro kosten.
Nicht der richtige Zeitpunkt
Jene, die es sich nicht leisten können den Haddsch zu unternehmen, könnten denken, dass sie die Einzigen sind, die einen Grund haben, den Haddsch zu verschieben, doch interessanterweise haben sogar jene, die über die finanziellen Mittel verfügen um zu reisen, keine Zeit. Für viele Muslime aus dem Westen ist die benötigte Urlaubszeit von zwei Wochen am Arbeitsplatz scheinbar nicht vorhanden. Denn um zwei Wochen frei zu bekommen, wird vorausgesetzt, dass vor oder nach der Reise keine Tage wegen Krankheit frei genommen werden. Außerdem wäre es erforderlich, dass keine weiteren Tage bis zum Ende des Jahres frei genommen werden. Dies ist schwierig für viele Familien, da die Eltern sich üblicherweise ein paar Tage frei nehmen, um kranke Kinder zu pflegen oder um ihre eigene Erkältung oder Grippe zu auszukurieren.
Wenn die gesamte Familie reisen soll, schrecken zudem viele Eltern bei dem Gedanken zurück, ihre Kinder zwei Wochen vom Schulbesuch zu befreien, aus Angst, dass das Kind dann viel vom Lehrstoffverpasst, und zusätzlich befürchten, dass ihr Kind dann in Rückstand gerät.
Eine junge Familie mit sehr jungen Kindern dürfte jedes Jahr freiwillig auf den Haddsch verzichten, weil die Kinder zu jung sind, um mit dem Haddsch umgehen zu können oder ihn zu schätzen oder die ganze Belohnung dafür zu erhalten. Einige Familien entscheiden sich dafür, erst dann den Haddsch durchzuführen, wenn alle Familienangehörigen bereit und fähig sind – wenn jeder körperlich im Stande und zum Haddsch verpflichtet ist sowie alle verlangten Handlungen und Riten erfüllen kann.
Demgegenüber gibt es andere Familien, die nicht so lange warten, bis ihre Kinder alt genug sind, um an der Haddsch-Reise teilzunehmen, sondern nur so lange, bis sie alt genug sind um sie mit einer Kinderbetreuung zurückzulassen. Viele junge Familien haben auch sehr viele Familienangehörige einschließlich Großeltern im Haushalt. Wenn die Großeltern mit einer jungen Familie zusammenleben, müssen die jungen Eltern sich nicht nur um ihre Kinder, sondern auch um ihre Eltern kümmern. In diesem Fall sind sowohl die Umstände der Kinder als auch die der Älteren zu berücksichtigen. Ist die junge Familie finanziell dazu in der Lage, den Haddsch durchzuführen und darüber hinaus bereit, sich die erforderliche Zeit bei der Arbeit und in der Schule frei zu nehmen, kann die Angelegenheit, wer sich um die älteren Großeltern oder die jungen Kinder kümmern wird, zu einem Hindernis für den Haddsch werden. In dieser Situation entscheiden sich viele junge Familien dafür, den Haddsch auf eine günstigere Zeit hinauszuschieben.
Interessanterweise sehen wir in immer mehr Fällen, dass ein Ehegatte den Haddsch bereits vor der Heirat durchgeführt hat. Wenn etwa der Ehemann in dieser Situation seine Pflicht bereits erfüllt hat, dann neigt er weniger dazu, mir seiner Frau den Haddsch zu unternehmen (vielleicht auf Grund finanzieller Gründe). In diesem Fall verzögert die Frau ihren Haddsch, weil sie ihren Mahram (einen Mann, den sie nicht heiraten darf) braucht um sie zu begleiten. Oder ihr Ehemann könnte sich im Falle, dass die Ehefrau ihren Haddsch vor der Heirat durchgeführt hat, sträuben ohne sie zu reisen und sie zurückzulassen.
In beiden Situationen dürfte der Ehepartner, der seinen Haddsch nicht ausgeführt hat, in Erwägung ziehen zu warten bis die Kinder geboren, erzogen und für den Haddsch bereit sind, damit die gesamte Familie reisen kann und ihn für jeden rechtskräftig macht.
In einigen Beispielen schiebt ein junges Paar, das Verantwortung weder für Kinder noch für ältere Eltern hat, den Haddsch ebenfalls auf. Ihre Gründe sind zweifellos emotionaler Natur. Sie denken, dass sie noch zu jung sind und noch den Rest ihres Lebens haben um den Haddsch durchzuführen. Irrtümlicherweise denken einige noch, dass der Haddsch eine Pflicht für alte Menschen sei und dennoch ist es eine Denkweise, die viele junge muslimische Nicht-Araber haben. Wie viele Frischvermählte kennst du, die sich dazu entscheiden in ihren Flitterwochen zum Haddsch anstatt nach Hawaii zu reisen?