Im zehnten Jahrhundert war der Islâm die führende Hauptreligion oder zumindest die Religion der meisten Völker in einem Gebiet, das mehr als die Hälfte der zivilisierten Welt umfasste und sich über drei Kontinente erstreckte, von den Pyrenäen im Westen bis Sibirien und Nordeuropa bis zum fernsten Ende Asiens nach China und Neu Guinea im Osten; und von Marokko in Nordafrika bis zum südlichsten Ende Afrikas, was zwei Drittel des afrikanischen Kontinent umfasst. Eines der herausragendsten Tatsachen der Menschheitsgeschichte ist, dass die Verbreitung des Islâm innerhalb von drei Jahrhunderten über ein derartiges enormes Gebiet vonstatten ging.
Jedoch ist am beeindruckendsten, dass innerhalb eines halben Jahrhunderts nach der Hidschra (die Auswanderung des Propheten Muhammads von Makka nach Al-Madîna), der Islâm bereits das gesamte Nordafrika von Ägypten bis Marokko und alle Länder des Mittleren Ostens, vom Jemen bis zum Kaukasus und von Ägypten bis zu den Ländern jenseits von Transoxanien erobert hatte. Es war in der Zeit, während der Herrschaft des dritten Kalifen 'Uthmân als die muslimischen Botschafter den chinesischen Palast erreichten, wo sie mit Begeisterung begrüßt wurden und somit ein wichtiges Ereignis kennzeichneten. Laut den Historikern war dies der Beginn des Eintritts des Islâms in diesem Land. Es gibt viele Gründe, warum die Völker von der Vergangenheit an bis zum heutigen Tag bereit waren, den Islâm anzunehmen. Muhammad Asad, der wohl bedeutendste Jude, der zum Islâm konvertierte, hat diese Gründe deutlich gemacht:
Der Islâm ist wie ein perfektes Bauwerk
„Der Islâm ist für mich wie ein perfektes architektonisches Bauwerk. Seine gesamten Teile sind harmonisch aufeinander abgestimmt, sie stützen sich gegenseitig, nichts fehlt. Das Resultat ist ein völliges Gleichgewicht und solide Gelassenheit. Die gesamte Lehre und das Prinzip des Islâm sind an seinem richtigen Platz.“ (Islâm am Scheideweg, S. 5)
Der Islâm wurde durch das Schwert verbreitet
Die meisten westlichen Schriftsteller, besonders unter dem Einfluss der Kirche, haben es nie versäumt, dem Islâm zu unterstellen, er sei durch das Schwert verbreitet worden. Der Grund dieses Vorurteils liegt hauptsächlich an der Tatsache, dass die Ausbreitung des Islâm oftmals auf Kosten des Christentums erfolgt ist. Während der Islâm jahrhundertelang, ohne viel Aufwand oder organisierte Missionaraktivitäten, zahlreiche Konversionen aus dem Christentum erlangt hat, war es dem Christentum so gut wie nie möglich, ohne viel Aufwand Konversionen aus dem Islâm zu erzielen, und das trotz anspruchsvoller Mittel und gut organisierter Missionaraktivitäten. Das Christentum war schon immer in seinem Konkurrenzkampf seit 14 Jahrhunderten gegenüber dem Islâm im Nachteil. Das hat bewirkt, dass sich in ihren Missionaren und in den meisten Orientalisten ein Komplex entwickelt hat, weshalb sie den Islâm bildlich dargestellt und es als eine rückschrittliche, vulgäre Religion wilder Leute präsentiert haben.
Dieselbe Einstellung haben sie auch unglücklicherweise gegenüber dem Propheten des Islâms beibehalten. Das ist in den Geständnissen mancher unvoreingenommener westlicher Schriftsteller offensichtlich: Laut P. Bayle sind Muslime,„in Anlehnung ihrer Glaubensprinzipien, gezwungen Gewalt anzuwenden, um andere Religionen zu zerstören (vermutlich meint er hiermit den Dschihâd, welcher jedoch nicht für den Zweck gilt, den er behauptet). Dennoch haben die Muslime trotzdem andere Religionen in den vergangenen Jahrhunderten toleriert. Den Christen hat man keine Anordnung gegeben etwas zu tun, außer zu predigen und zu lehren. Dennoch haben sie trotzdem seit unbestimmter Zeit durch das Feuer und dem Schwert all jene ausgerottet, die nicht ihrer Religion angehörten. […] Wir können sicher sein, dass wenn die westlichen Christen statt den Sarazenen und den Türken die Herrschaft über Asien gewonnen hätten, dort heute nicht eine einzige Spur der griechischen Kirche aufzufinden wäre und dass sie niemals den Mohammedanismus toleriert hätten, wie die „Ungläubigen“ das Christentum dort zugelassen haben.
Wir (Christen) erfreuen uns über den guten Vorteil in der Art und Weise zu töten, zu bombardieren und die menschliche Rasse zu vernichten bei weitem erfahrener zu sein als andere.“ (Bayle P., Dictionary, 'Der Artikel Mahomet', 1850)
Wem hat der Islâm seine unvergleichbare Verbreitung zu verdanken?
Der Islâm hat seine unvergleichbare Verbreitung seinem religiösen Inhalt und seiner religiösen Werte zu verdanken, was auch alle sachlichen Intellektuelle aus der westlichen Welt gestehen:
„Viele haben sich gefragt, warum der Triumph des Islâms so schnell und perfekt war? Warum Millionen von Menschen jemals den Islâm als Religion angenommen und nur knapp einhundert ihn widerrufen haben? Manche haben versucht, den ersten überwältigenden Erfolg mit dem Vorwand des Schwertes zu rechtfertigen. Jedoch vergessen sie dabei die kurze und bündige Antwort von Carlyle. Besorgen Sie sich zuerst Ihr Schwert. Sie müssen das Herz der Menschen gewinnen, bevor Sie sie veranlassen können ihr Leben für Sie zu opfern. Die ersten Eroberer des Islâm mussten zu Muslimen gemacht werden, bevor sie zu Kriegern auf dem Weg Gottes gemacht wurden. Andere behaupten, dass schlechte Sitten in der Religion und die Verheißung des lüsternen Paradieses ausreichende Gründe für den Eifer seiner Anhänger seien: aber auch wenn das vollkommen erlaubt wäre, hätte nicht eine Religion nur durch Beeinflussung seiner verheißenden Gewährung des Paradieses und der Fleischeslust einen dauerhaften Einfluss auf die Menschen erlangt …?
In all diesen Darlegungen wird die Religion selbst außer Frage gestellt. Der Islâm selbst war eindeutig der Hauptgrund seines Triumphes. Er wurde nicht nur sofort bei seiner ersten Bekanntmachung (durch viele Völker und Rassen) von Arabien, Syrien, Persien, Ägypten, Nordafrika und Spanien angenommen, sondern hat, mit der Ausnahme von Spanien, nie seine günstige Ausgangsstellung verloren. Der Islâm hat sich seit seiner Entstehung immer weiter ausgebreitet. Wenn man die unterschieldichen Gründe anerkennt, die zur Schnelligkeit der ersten raschen Verbreitung des Islâms beigetragen haben, erklären sie nicht den Fortbestand des Islâm. Es muss etwas in der Religion selbst sein, um die Fortdauer und Verbreitung zu erklären, und um seinen derzeitigen Einfluss über so einen beträchtlichen Anteil an Bewohnern auf Erden zu begründen …Der Islâm hat einen Enthusiasmus erregt, der nie überboten wurde. Der Islâm hat seine Märtyrer gehabt, seine Selbstpeiniger, seine Einsiedler, die auf alles verzichtet haben, was das Leben bietet. Und sie haben den Tod um des Glaubens willen mit einem Lächeln akzeptiert.“(Stanley Lane Poole, Die Studie in einer Moschee, Seite 86 - 89)
A. J. Arberry hat ebenso darauf hingewiesen, dass der Grund für die Ausbreitung des Islâm der Islâm selbst ist sowie seine religiösen Werte. (Aspekte der Islâmischen Zivilisation, Seite 12)
Er sagt: "Die schnelle Ausbreitung des Islâm in ausgedehnten Ländern, die lange Zeit christlich waren, ist eine entscheidende Tatsache der Geschichte […] Die erhabene Rhetorik des Qurâns, diese unnachahmliche Sinfonie, eben jene Klänge, die die Menschheit zu Tränen und Begeisterung antreibt.“ (M. Pickhtal, Die Bedeutung des heiligen Qurâns, Seite vii)
Arberry fährt fort: "Das und die Wirkung der einfachen Botschaft, die er beinhaltet, sind der Schlüssel zum Mysterium von einem der größten Kataklysmen in der Geschichte der Religion. Wenn alle militärischen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren ausgereizt sein werden, muss wieder der religiöse Antrieb als der grundlegendste und beständigste erkannt werden."
Brockelmann, der sich normalerweise sehr verständnislos und mit Vorurteilen zeigt, erkennt ebenso die religiösen Werte des Islâms als den Hauptfaktor für die Ausbreitung des Islâms an. (Geschichte der islâmischen Völker und Staaten, Seite 37)
Rosenthal bringt folgendes Argument: "Der wichtigere Faktor für die Ausbreitung des Islâm ist das religiöse Gesetz des Islâm (die Scharî’a, die eine allumfassende, alles akzeptierende und alles verstehende Art und Weise des Denkens und des Lebens ist), das entworfen wurde, um alle Lebensäußerungen zu erfassen."(Politisches Denken im mittelalterlichen Islâm, Seite 21)
Wie der Islâm sich ausgebreitet hat - Teil 2