Im Jahre 80 n. H. kam in Madîna ein Neugeborener von der Nachkommenschaft des Gesandten Allâhs zur Welt: Dscha’far As-Sâdiq, Sohn von Muhammad Al-Bâqir.
Dscha’far wuchs in Madina auf; er war sehr stolz auf seine Abstammung, denn sein Großvater väterlicherseits war Imâm Ali ibn Abû Tâlib und sein Großvater mütterlicherseits war der enge Gefährte des Gesandten Allâhs , nämlich der Kalif Abû Bakr As-Siddîq.
Dscha’far hörte auf die Ratschläge seines Vaters, der oft zu ihm sagte: „Hüte dich vor Faulheit und Ärger, denn sie sind der Schlüssel aller Arten vom Bösen; wenn du faul bist, wirst du deinen Pflichten nicht nachkommen, und wenn du ärgerlich bist, wirst du kein Recht erdulden! Die Suche nach Wissen und das Verrichten der Pflichten sind besser als Weltentsagung.“ Dscha’far befolgte die Ratschläge seines Vaters, er lernte den edlen Qurân und die Hadîthe des Gesandten Allâhs auswendig und verstand sie gut.
Als er ein Jüngling geworden war, wurde er Zeuge des Streites zwischen den Nachkommen des Propheten und den Umayyaden. Als er erlebte, wie sein Onkel Zaid getötet wurde, beweinte er ihn und war sehr traurig. Er hielt es für das Beste, diesem Unrecht durch Verkünden der Wahrheit zu begegnen, die den Menschen den Weg erleuchtet und sie zur Verteidigung der Unterdrückten anhält.
Von der Sunna des Propheten hatte er gelernt, dass die Suche nach dem Wissen und dessen Verbreitung dem Kampf um Allâhs willen gleichkommt, ja dass es sogar eine Pflicht für jeden Muslim und jede Muslimin ist und dass Allâh der Erhabene den Gelehrten einen Platz bei den Propheten und Märtyrern gewährt. Deswegen interessierte er sich neben dem Studium von Qurân, Hadîth und Fiqh (islâmische Rechtswissenschaft) auch für Naturwissenschaften, Chemie, Astronomie, Heilkunde, Pflanzen und Arzneimittel. Er blieb beim Studium und Lesen all dieser Wissenschaften, bis sich die Herrschaft der Umayyaden ihrem Ende näherte; zu diesem Zeitpunkt ließen ihm die Anhänger der Familie des Gesandten Allâhs ausrichten, dass er diese Gelegenheit wahrnehmen und unverzüglich kommen solle, um das Kalifat zu übernehmen. Er verspürte Unbehagen gegenüber diesem Brief und verbrannte ihn.
Er hatte das Gefühl, dass er durch sein Wissen mächtiger als alle Könige der Erde war. Imâm Dscha’far fuhr fort, sich in einzigartiger Bescheidenheit Wissen anzueignen und dieses die Menschen zu lehren; die Menschen fragten ihn und er antwortete ihnen ohne Hochmut oder Überheblichkeit. Man fragte ihn: „Allâh der Erhabene sagt: »... Sprecht zu Mir eure Bittgebete, Ich werde euch erhören! ...« (Sûra 40:60). Was ist denn mit uns? Wir rufen Ihn an und Er erhört uns nicht.“ Da sagte Imâm Dscha’far: „Weil du jemanden anrufst, den du nicht kennst.“
Die Leute liebten Dscha’far As-Sâdiq und sammelten sich um ihn, was den Kalifen Al-Mansûr ärgerte, weshalb er Imâm Dscha’far in Verlegenheit bringen wollte. Er befahl dem bekannten Rechtsgelehrten Abû Hanîfa, einige schwierige Fragen vorzubereiten, um sie mit dem Imâm Dscha‘far zu diskutieren. Abû Hanîfa sagte: „Ich habe vierzig Fragen vorbereitet.“ Die beiden Imâme trafen sich im Beisein des Kalifen Al-Mansûr, und Imâm Dscha’far beantwortete jede Frage, die Abû Hanîfa stellte. Zum Schluss sagte Abû Hanîfa: „Der Gelehrteste unter den Menschen ist derjenige, der über die Meinungsverschiedenheiten mehr Bescheid weiß.“ Denn Dscha’far As-Sâdiq hatte zuerst die Antworten der früheren Gelehrten auf die Frage erwähnt und dann seine eigene Meinung dazu geäußert.
Imâm Dscha’far war sehr geduldig und nicht aufbrausend. Er hatte einen faulen Diener, der den Schlaf liebte. Eines Tages schickte er ihn, um einige Besorgungen zu erledigen, und er blieb lange weg. Der Imâm machte sich um ihn Sorgen und ging ihn suchen, er fand ihn schlafend am Wegesrand; da setzte er sich zu ihm und weckte ihn sachte auf. Als der Diener aufgewacht war, fragte ihn der Imâm lächelnd: „Schläfst du nachts und tagsüber? Die Nacht ist dein und unser ist der Tag.“
Imâm Dscha’far As-Sâdiq kannte keine Furcht außer vor Allâh. Als der Kalif Al-Mansûr sich über eine Fliege ärgerte, die ihn belästigte und die er nicht wegscheuchen konnte, fragte er den Imâm: „Warum hat Allâh die Fliegen erschaffen?“ Da sagte er dem Kalifen: „Um die Tyrannen zu erniedrigen!“
Er blieb in Madîna, um die Leute zu lehren und in ihrer Religion zu unterrichten, bis er über 60 Jahre alt war. Im Jahre 148 n. H. verstarb Imam Dscha’far As-Sâdiq im Alter von 68 Jahren. Der Kalif Al-Mansûr trauerte um ihn sehr und sagte: „Das Oberhaupt der Menschen, ihr Gelehrter und Nachfolger der Besten von ihnen ist verstorben.“ Dscha’far gehört zu denjenigen, von denen Allâh sagt: „Alsdann geben Wir das Offenbarungsbuch als treuhänderisches Vermächtnis denen, die Wir aus den Reihen der Uns anbetenden Dienenden erwählen ...“ (Sûra 35:32).