Die Araber gaben einem großen Teil der Welt nicht nur eine Religion – den Islâm –, sondern auch eine Sprache und ein Alphabet. Wohin die muslimische Religion auch kam, brachte sie die arabische Sprache und auch die arabische Schrift. Arabisch wurde und blieb bis heute die offizielle Sprache – Muttersprache –Nordafrikas und aller arabischen Länder im Nahen Osten.
Selbst dort, wo Arabisch nicht die Landessprache ist, wurde es die Sprache der Religion, wo immer der Islâm sich etablierte, da die Sprache des Qurân Arabisch ist, das Glaubensbekenntnis auf Arabisch gesprochen wird und fünfmal täglich der Muslim seine rituellen Gebete auf Arabisch spricht. Heutzutage kann man deshalb hören, wie Arabisch, zumindest im religiösen Rahmen, von Mauretanien an der Atlantikküste quer durch Afrika und in großen Gebieten Asiens bis nach Indonesien und zu den Philippinen gesprochen wird. Selbst in China (mit etwa 60 Millionen Muslimen) und den zentralasiatischen Republiken der GUS hört man Arabisch im Glaubensbekenntnis, im rituellen Gebet und in der Qurân-Rezitation.
Von denen, die den Islâm angenommen haben, aber nicht im Alltag Arabisch sprechen, gibt es Millionen, die das arabische Alphabet verwenden, so dass heutzutage die arabische Schrift für Sprachen verwendet wird, die keine etymologische Verbindung mit dem Arabischen haben. Die Sprachen im Iran, Afghanistan und Pakistan werden alle mit dem arabischen Alphabet geschrieben, auch in der Türkei schrieb man noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts Türkisch in arabischen Lettern. Es wird ferner in Kaschmir und in manchen Orten der malaysischen Halbinsel und den ostindischen Inseln benutzt, in Afrika schreibt man in Somalia über die Ostküste bis hin in den Süden nach Tansania unter Anderem mit arabischen Schriftzeichen.
Unter Wissenschaftlern ist man sich einig, dass das arabische Alphabet aus der nabatäischen Schrift entstand. Nabatäisch war ein aramäischer Dialekt, der im nördlichen Arabien und dem heutigen Jordanien benutzt wurde, diese Sprache verschwand etwa 1000 Jahre vor dem Beginn der islamischen Zeitrechnung. Es scheint offensichtlich, dass auch Assyrisch einigen Einfluss auf die Entwicklung der Schrift hatte. Die frühesten gefundenen Inschriften, die als Arabisch identifiziert werden können, stammen aus dem Sinai aus dem Jahre 300 v.Chr. Eine andere semitische Schrift, die ungefähr zur gleichen Zeit in Gebrauch war und auf Inschriften im Süden Arabiens gefunden wurde, ist der Ursprung des Alphabetes, das jetzt für Amharisch, die offizielle Sprache Äthiopiens, benutzt wird.
Das arabische Alphabet hat 28 Buchstaben (zusätzliche Buchstaben wurden hinzugefügt, um den Anforderungen anderer Sprachen zu genügen, die die arabische Schrift benutzen), und jeder der Buchstaben ändert sich geringfügig je nach Stellung im Wort. Die meisten Buchstaben sind – bis auf drei Langvokale – Konsonanten. Im Gegensatz zum lateinischen Alphabet, das für Deutsch und die meisten europäischen Sprachen benutzt wird, wird Arabisch von rechts nach links geschrieben.
Ein anderer besonderer Unterschied ist, dass die arabische Schrift für Dekorationen sehr geeignet ist und oft in der Kunst der Kalligrafie verwendet wird. Dies bedeutet nicht, dass das lateinische Alphabet (und andere, wie das Chinesische) nicht ebenfalls dekorativ wären. Seit der Erfindung des Buchdrucks wurde der Gebrauch der Kalligrafie (was wörtlich „schönes Schreiben“ bedeutet) im Deutschen und anderen europäischen Sprachen nur noch für spezielle Dokumente und zu besonderen Anlässen benutzt und verkam zu einer verhältnismäßig unbedeutenden Kunst.
In Ländern, in denen jedoch das arabische Alphabet benutzt wird, wird die Kalligrafie immer noch im großen Stil verwandt, nicht etwa nur für wichtige Dokumente, sondern auch für eine Vielfalt anderer kunstvoller Zwecke. Ein Grund dafür ist, dass die kursive Schreibart der arabischen Schrift und andere Besonderheiten die Anpassung an den Druck erschwerten und die Einführung der Druckpresse verzögerten, so dass sich die arabische Welt noch Jahrhunderte nach Gutenberg auf die handschriftliche Produktion von Büchern (vor allem des Qurân) sowie bei offiziellen und privaten Dokumenten verließ. Der Gebrauch der arabischen Schrift neigte sich deshalb in Richtung der Kalligrafie und der Entwicklung der kunstvollen Glossen, während im Westen der Trend zum Druck und der Entwicklung von dekorativen und manchmal aufwendigen Schriftbildern ging.
Ein anderer und vielleicht wichtigerer Grund war ein religiöser. Der Islâm verbietet die Darstellung von Menschen und Tieren. Als die Herrscher begannen, immer mehr im Prunk zu leben, wurden die Wände statt mit Bildern mit Kalligrafie und Ornamenten geschmückt. Die arabische Kalligrafie wurde also nicht nur zur Produktion von Kopien des Qurân benutzt, sondern auch für alle Arten anderer kunstvoller Zwecke.
Zu Beginn der islamischen Geschichte scheint es, als wären zwei Schriftarten in Gebrauch gewesen – beide stammen von den verschiedenen Formen des nabatäischen Alphabets. Eine war eckig und winkelig und hieß "Kûfî", sie wurde nach der Stadt Kufa im Irak benannt, obwohl diese Schrift schon vor der Erstehung der Stadt benutzt wurde. Diese Schrift wurde für die ersten handgeschriebenen Kopien des Qurân und auch für architektonische Verzierung in den Anfangsjahren des islamischen Reiches benutzt. Die andere Schriftart heißt Naschî, war runder und kursiver und wurde für Briefe und Geschäftsdokumente verwandt, also überall, wo Schnelligkeit anstatt aufwendige Formalität nötig war. Ab dem 12. Jahrhundert geriet Kûfî als funktionstüchtige Schrift immer mehr in den Schatten, außer für den speziellen Gebrauch in Nordafrika, wo es sich zum maghrebinischen Schreibstil entwickelte, der noch heute in diesem Gebiet benutzt wird. Naschî, die runde Schrift, wurde weiterhin verwendet, aus ihr entwickelten sich viele der späteren Stile der arabischen Kalligrafie.
Die Kalligrafie blühte während der umayadischen Ära in Damaskus auf, denn die Umayaden waren die ersten Herrscher, die in prunkvollen Palästen lebten und im Luxus schwelgten. Während dieser Zeit fingen die Schreiber mit der Modifizierung der ursprünglichen dicken und schweren kufischen Schrift an, so dass die heute benutzte Form für dekorative Zwecke entstand. Ebenso wurde die Schriftart Naschî weiterentwickelt. Unter den Abbasiden wurde die Kalligrafie zum ersten Mal richtig systematisiert. In der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts vervollständigte der abbasidische Wesir Ibn Muqla die Entwicklung der kufischen Schrift und stellte einige Regeln der Form und Proportion auf, die seither von den Kalligrafen befolgt werden. Dieser Ibn Muqla war auch der Erste, der die traditionelle Klassifizierung der arabischen Schrift in „sechs Stile“ der kursiven Schrift einführte: Naschî (Vorlage für die meisten heutigen Drucktypen), Thuluth, Muhaqqaq (eine fette Schrift mit fegenden diagonalen Schnörkeln), Tauqî´ (komprimierte Variante des Thuluth), und Ruq´a (Schnellschrift). Aus diesen sechs und der kufischen Schrift entwickelten sich alle heutigen Schriftarten, wobei zu erwähnen ist, dass auch in den nicht-arabischen Ländern wie dem Iran und der Türkei neue Schriftarten entstanden.
Im Iran zum Beispiel wurde eine besonders zierlichere Schrift benutzt, die Ta´lîq genannt wird, in der die horizontalen Striche der Buchstaben verlängert und oft in einem Winkel quer über die Seite geschrieben werden. Aus dem Ta´lîq wiederum leitete sich eine andere Schrift ab, die Nasta´liq genannt wird, die das arabische Naschî und das persischen Ta´lîq in einem schönen Licht und einer lesbaren Schrift kombiniert. In der osmanischen Türkei erreichte die Kalligrafie ihre höchste Entwicklung. Die osmanischen Kalligrafen waren in der Tat so bekannt, dass es ein volkstümliches Sprichwort gibt, das besagt „Der Qur´ân wurde in Makka geoffenbart, in Ägypten rezitiert und in Istanbul geschrieben.“ Die Osmanen begnügten sich nicht einfach damit, die Schrifttypen der Araber und Perser zu verbessern und zu entwickeln, sondern fügten auch einige neue Stilrichtungen hinzu.
Zu den bekanntesten Schriftarten, die die osmanischen Kalligrafen erfanden, zählt wohl das Dîwânî, es leitet sich vom Diwan, dem Staatsbuch, ab. Diese Schrift wurde für Dokumente benutzt, die vom osmanischen Staatsrat verfasst wurden. Es ist eine äußerst graziöse und sehr dekorative Schrift, mit starken diagonalen Schnörkeln und weniger einfach zu lesen als andere Stile. Dîwânî breitete sich durch die Osmanen in den arabischen Ländern aus und wird heute für formale Dokumente und architektonische Dekoration benutzt.
Diese Standardschriften schöpfen keineswegs die Anzahl von Stilrichtungen aus. Islamische Kalligrafen experimentieren viel mit der Schrift und sind sehr einfallsreich. Ein weiterer osmanischer Beitrag ist die Tughra, eine aufwendige und hoch stilisierter Wiedergabe der Namen des osmanischen Sultans, der ursprünglich benutzt wurde, um Dekrete des Sultans zu beglaubigen. Die Tughra wurde später in der Türkei und den arabischen Ländern für Reichsabzeichen, Embleme sowie auf Münzen und Stempeln benutzt, wobei stets das Monogramm des jeweiligen Herrschers abgebildet war.
Eine andere Variante der Kalligrafie, die heute nur noch selten zur Anwendung kommt, ist der Stil namens Muthannâ (Arabisch für „verdoppelt"). Dies ist eigentlich keine eigenständige Schriftart, sondern besteht aus einem Text in einer der Standardschriften, wie dem Naschî, wobei diese in ein Muster eingearbeitet wird, in dem eine Hälfte das Spiegelbild der anderen ist. Noch einfallsreicher ist die illustrierte Kalligrafie, in der der Text in Form eines Vogels, Tieres, Baumes, Schiffes oder anderer Objekte geschrieben wird. Vor allem die Tierdarstellungen sind meist persischen Ursprungs, weil die Schiiten kein Bilderverbot kennen. Ein qurânischer Vers in der kufischen Schrift kann beispielsweise so geschrieben werden, dass es das Bild einer Moschee oder eines Minaretts formt.
Auch die gedruckten Qurân-Exemplare werden alle zuerst von Kalligrafen auf großen Tafeln geschrieben, dann gescannt und in jeder beliebigen Schriftgröße gedruckt. Einer der bekanntesten Kalligrafen ist Taha Hussein, dessen Schrift der König-Fahd-Komplex verwendet. Bei dieser Schrift könnte man meinen, es handle sich gar nicht um das Werk eines Kalligrafen, so regelmäßig ist sie.
Die Kunst der Kalligrafie ist in der Arabisch schreibenden Welt immer noch sehr lebendig. Die Liste des alltäglichen Gebrauchs ist fast endlos: Münzen und Papiergeld tragen die Werke bekannter Kalligrafen, Wandposter und Werbeaufschriften in jeder Stadt zeigen die Kunst eines Kalligrafen, Bucheinbände und Titelblätter und die bedeutenden Schlagzeilen in jeder Zeitung und jedem Magazin werden per Hand geschrieben. Kalligrafie – die Kunst des „schönen Schreibens“ – ist immer noch im Alltag in Gebrauch und nicht nur zu Dekorationszwecken.